Der eigentliche Ursprung des Diesel-Skandals
Deutsche Städte haben große Schwierigkeiten mit verschmutzter Luft. Deswegen gibt es nun sogar Fahrverbote. Vor fast zehn Jahren wurden die Fehler gemacht, die dazu geführt haben.
Das Problem von heute war die Lösung von gestern. Um das Jahr 2005 hat die Feinstaub-Frage die Umweltdebatten über die Großstädte bestimmt. Die Belastung, hieß es, sei zu hoch, und die Gesundheitsgefahr riesig. Horrormeldung von 300.000 vorzeitigen Todesfällen in Europa pro Jahr kursierten durch Medien, die Lebenserwartung werde um ein Jahr verkürzt. Wie eine unerwartete Naturkatastrophe brach das Problem Feinstaub über die Gesellschaft herein.
Dabei hätte man das Unheil kommen sehen können: Bereits 1999 beschloss die Europäische Union eine Feinstaubrichtlinie. Sechs Jahre später wurde sie in Deutschland verbindlich. Von diesem Zeitpunkt an war saubere Luft einklagbar.
Und was saubere Luft ausmacht, wurde in der Feinstaubrichtlinie über feste Grenzwerte definiert. An höchstens 35 Tagen pro Jahr darf die Belastung 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft überschreiten.
Das erste Grundproblem ist jedoch, dass Autoabgase gleich mehrfach umweltschädlich sind. Die Emission von krebserregenden Feinstaubpartikeln ist nur ein Aspekt. Wichtig sind auch die Stickoxidemissionen, die ebenfalls Herz, Lunge und Gefäße angreifen. Und dann ist da noch der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, der Einfluss auf den Klimawandel hat. Es ist aus Sicht von Ingenieuren sehr schwierig, alle drei Auswirkungen gleichzeitig zu mildern.
Das zweite Grundproblem war zu jener Zeit die bemerkenswerte Karriere des Dieselmotors. Noch in den 1980er-Jahren waren Dieselmotoren vor allem in Traktoren und Nutzfahrzeugen zu finden. Das änderte sich zur Jahrtausendwende, moderne Dieselmotoren waren sowohl leistungsstark als auch zuverlässig. Außerdem machten Steuernachlässe den Diesel günstig. Der Bestand stieg von rund sechs Millionen dieselbetriebener Personenfahrzeuge im Jahr 2000 auf neun Millionen im Jahr 2005. Heute sind gut 15 Millionen Diesel-Pkw in Deutschland unterwegs. Während seit den 1990er Jahren Benzinautos dank Katalysatoren relativ sauber fahren, waren solche Abgasreinigungen aus technischen Gründen beim Diesel unmöglich.
Die Feinstaubrichtlinie entwickelte sich vor diesem Hintergrund zum Fiasko: In Stuttgart, München, Berlin, Düsseldorf und Dortmund wurden bereits in den ersten drei Monaten des Jahres 2005 so viele Tage mit zu hoher Feinstaubbelastung gezählt, wie sonst im ganzen Jahr erlaubt gewesen wären.
Verzweifelt versuchten die Kommunen damals fast alles, um die Partikel, die kleiner als ein Hundertstel Millimeter sind, aus der Luft zu bekommen. Ich erinnere mich, dass meine Heimatstadt Wien, nachdem es längere Zeit nicht geregnet hatte, sogar die Straßenreinigung aussandte, um den Staub mit Wasser von der Straße zu waschen. Ähnlich wie davor auch schon beim Ozonloch oder dem Sauren Regen wurde für kurze Zeit ein Umweltproblem isoliert, heißblütig und öffentlich diskutiert. Der Druck wuchs auf die Politik und auf die Autoindustrie.
Schlägt man der Hydra einen Kopf ab, wachsen zwei nach
Lösen sollten dieses Problem die Ingenieure der Dieselmotoren. Nach langen Verhandlungen führte die EU-Kommission – unter Mitwirkung der Autoindustrie – ab 2009 die strengere Abgasnorm EURO 5 für Autos ein. Neue Pkw-Diesel durften nur noch ein Fünftel der bisherigen Masse der Feinstaub-Partikel ausstoßen. Gleichzeitig sollte auch der Stickstoffdioxid-Ausstoß von 250 auf 180 Mikrogramm gesenkt werden.
Aber nicht nur das: Mittlerweile hatte die öffentliche Diskussion über den Klimawandel an Relevanz gewonnen. Die Politik musste für die Einhaltung von sogenannten Klimazielen sorgen. Die neue Motorgeneration sollte also die Quadratur des Kreises schaffen: weniger Feinstaub, weniger Stickoxide und weniger Kohlendioxide. „Allen Fachleuten war jedoch klar, dass derart niedrige Stickoxid-Emissionen im Realbetrieb kein Entwicklungsziel waren, weil dieser Wert im Realbetrieb schlicht nicht erreicht werden konnte”, sagt Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie.
Oberste Prioriät bei der Entwicklung von EURO 5 galt aber dem Feinstaub-Ausstoß und der Einführung des Partikelfilters. Das war schließlich der Ursprung der Debatte über Schadstoffe in Autoabgasen, und auch der Antreiber für die Erarbeitung der EURO-5-Norm. Die Bundesregierung bezuschusste sogar die Umrüstung alter Dieselfahrzeuge.
Während also Gesellschaft und Politik längst über die Senkung von klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen stritten, waren Industrie und Wissenschaft noch dabei, jene Probleme zu lösen, die Jahre zuvor die Gemüter erregten.