Danke für diesen differenzierten Beitrag, der sich wohltuend von manchem hier abhebt.
Zunächst einmal hast Du vollkommen recht, daß sich unsere Fortschrittskultur nur hier in diesen idealen klimatischen, geographischen und ideologischen Gegebenheiten entwickeln konnte. Kulturen finden Bedingungen vor, die sie sich anverwandeln, die aber auch ihnen ihre Grenzen aufweisen. In der Wüste Gobi oder der Sahara werden manche Kulturerscheinungen nicht entstehen können, die Eskimos wären nie auf die glorreiche Idee des Kühlschrankes gekommen. Daß die Kulturentwicklung abhängig ist von äußeren Bedingungen, die sie prägen oder verhindern, relativiert allerdings auch die Rolle der Religionen. Judaismus und Islam sind Relgionen wandernder Nomaden- und Hirtenvölker, während das Christentum früh affizert worden ist von der griechischen und hellenischen Philosophie und Geisteswelt.
Jo, wobei ich nicht denke, dass das Nomadentum irgendeine Bedeutung hat. Islamische Feldherren haben bei ihren Eroberungen auch zB. Papier nach Europa gebracht und übersetzte Schriften aus dem Griechischen. Wer weiß, wie sich Europa sonst entwickelt hätte?
Du kennst sicherlich den Butterfly Effect, oder? Also den Mohamed umzubringen, bevor er seine Feldzüge startet, wär easy. Oder Hitler in den 20ern umzubringen. Aber auch kleinere Sachen können einen riesigen Effekt haben, solange es über große Zeiträume geht.
Allerdings gehört zur Kultur immer auch ihre Kehrseite sprich ihre Kosten. Es stimmt nicht wirklich, daß alle Religionen grundsätzlich Fortschritt verhindern. Gerade das Christentum, das den Menschen auferlegte, sich die Welt untertan zu machen und zu ihm zu bekehren - "Gehet hin und lehret alle Völker" - hat Fortschritt erst ermöglicht.
Ich sehe das nicht wirklich als Fortschritt. Außer womöglich in der Waffentechnologie.
Aber das Christentum bietet leider keine Grenze an, an der er denn innehalten sollte, dieser weltumspannende Fortschritt. "Der große Gedanke der Askese ist noch nicht gedacht. Als unvorstellbar gilt, der Mensch könne sich aus freiem Entschluß zurückziehen. Grenzen sind dazu da, überschritten zu werden: dies gilt als Lehrsatz und als Schicksal, am unerbittlichsten bei denen, die von Freiheit sprechen; den furchtbaren Widerspruch zu ihr, der in einem Zwang zum Überschreiten steckt, bemerken sie nicht. Freiheit wäre da, wo wir an einer Grenze sagten: es ist genug. Es reicht uns." Dies schreibt Alfred Andersch in seinem Buch "Hohe Breitengrade". Was Andersch als Utopie formuliert, eine Askese des Genug, ist auch anderswo kaum erfüllt. Da kommt einer nicht zur Ruhe, da ist nie genug, da wird manch einer zum Getriebenen. Oder zum Pedanten und Verschwörungstheoretiker, immer auf der Suche, wo es noch etwas aufzudecken gibt. Es ist wie mit dem Weiß und dem Weich der Waschmittelwerbung nie ist einer sicher, ob nicht doch noch ein weißeres Weiß oder ein weicheres Weich möglich ist. Also zweifelt man und sucht weiter. Der Fortschritt kann nur fort schreiten, nicht still stehen. Und daran wird er eines Tages scheitern. Schlimmstenfalls um den Preis der ganzen Welt.
Ich kann dir hier leider nicht folgen. Soll das heißen, dass jeder Fortschritt unsre Lebensgrundlage entzieht und irgendwann nichts mehr da ist und die Welt untergehen wird? Sowas meintest du im letzten Beitrag.
Ich sage dazu: Die Erde ist riesig und solange es Marktwirtschaft gibt/gäbe seh ich keine Gefahr. Rohstoffe, die knapper werden, werden teurer und durch andere ersetzt, die nicht so knapp sind, aber schwerer verwertbar sind (zB. Kohle vs. Wind). Mit fortschreitendem Wohlstand werden immer andere Sachen wichtig. Bis vor etwa 300 Jahren waren die wichtigsten Ziele eher rudimentär: Ernährung der Familie, Gesundheit der Familie. Natürlich ist das heute auch noch wichtig, aber damals benötigte man die gesamte (Arbeits)Leistung und schaffe nicht mal die Ziele. Keinem interessiert der Umweltschutz, wenn die Kinder hungern müssen. Mit zunehmendem Wohlstand konnte man sich um andere Ziele kümmern. Dir wird auch aufgefallen sein, dass man sich in der Medizin erst um Krankheiten kümmerte, die viele hatten. Jetzt, wo der Großteil der Krankheiten quasi besiegt wurden, kann man Kapazität auch für was anderes nutzen. Ich hab genug zu Essen, ich hab genug zum anziehen, meine Lebenserwartung liegt bei 70 und meine Kinder erreichen zu 99% die Volljährigkeit. Was will ich als Nächstes? Genau! Saubere Straßen. Wie wärs mit einem Fernseher? Urlaub? Weniger Hunger in der Welt (also einfach, weil einem das auch etwas gibt, Geld zu spenden). Achja, natürlich den Erhalt der Tierspezies. Das hat vor 100 Jahren einfach noch keine Sau interessiert. Da ging es eher um Fressen und Gefressen werden. Heute hat man die Mittel, besser damit umzugehen.
Also: Der Fortschritt, der steigende Wohlstand, die höhere Produktivität und ja, auch die Ausbeutung der Rohstoffe, hat uns den Wohlstand gebracht, um die Kurve zu bekommen. In 100 Jahren holen wir womöglich nen Sack Wüstensand und erzeugen daraus ein komplettes Einfamilienhaus samt Einrichtung und unendlicher Energieversorgung (wer weiß, was es bis dahin für Technologien gibt?).
Um zu erklären, wie ich das mit dem Raubbau sehe, hier ein Beispiel: Stell dir vor, du kannst einen Hektar Wald dein Eigentum nennen. Das heißt, du kannst es verkaufen, vererben, bewirtschaften und einfach damit machen, was du willst. Du hast zwei Möglichkeiten: Du holst jedes Jahr ein paar Bäume raus und verkaufst die. Bäume wachsen nach, also hast du für alle Ewigkeit diesen Ertrag. Sagen wir 10 000€ im Jahr. Oder du holzt alles komplett nieder und bekommst somit 200 000€ in dem einen Jahr, aber die Folgejahre nichts mehr. Logischerweise sinkt der Verkaufswert. Was wirst du machen? Und was ändert sich, wenn du 100 Hektar Wald hast?