Ein Anwalt hat wegen der zahlreichen Corona-Todesfälle in einem Wolfsburger Pflegeheim Strafanzeige wegen „fahrlässiger Tötung“ gegen den Betreiber gestellt. Nun legt der Anwalt mit einem Antrag auf Beweissicherung nach. Im Gespräch mit FOCUS Online erklärt er die Hintergründe. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Brauschweig hingegen reagiert wegen eines Details „überrascht“.
Keine einzige andere Stadt in Niedersachsen wird von der Corona-Epidemie so stark getroffen wie Wolfsburg. In der VW-Stadt mit ihren rund 120.000 Einwohnern sind inzwischen 23 Menschen an einer Covid-19-Infektion gestorben. 22 davon waren Bewohner des Hanns-Lilje-Altenpflegeheims. Fast die Hälfte aller 47 Todesopfer des Bundeslandes stammen somit aus dem Lilje-Heim.
Gesundheitsdezernentin rechnet mit weiteren Todesfällen im Heim
Der erste Bewohner im Lilje-Heim, dessen Tod auf das Coronavirus zurückgeführt wird, verstarb am 23. März. Am Dienstag kletterte die Zahl auf insgesamt 18, am Mittwoch kamen dann vier weitere Opfer hinzu. Zwar sind alle infizierten Heimbewohner inzwischen auf einer einzigen von insgesamt drei Etagen in dem Heim isoliert worden, dass sich auf dem Klieversberg am Rande der Innenstadt befindet. Das Hauptproblem aber ist, dass von den verbliebenen rund 140 Heimbewohnern mit weiteren 56 Senioren deutlich mehr als ein Drittel der gesamten Bewohnerschaft infiziert ist. Diese Senioren gelten abgesehen von ihrem hohen Alter als zusätzlich gefährdet, weil die meisten von ihnen an schwerer Demenz leiden.
"Urin, Kot und Erbrochenes in Zimmern allgegenwärtig"
Am Montag wurde bekannt, dass der Wolfsburger Rechtsanwalt Christian Richter in Zusammenhang mit den Covid-19-Todesfällen Strafanzeige wegen „fahrlässiger Tötung“ gegen die Wolfsburger Diakonie gestellt hat, die das Hanns-Lilje-Heims betreibt. Richter erhebt darin schwere Vorwürfe. Es ist die Rede von „katastrophalen hygienischen Zuständen“, zitierte die „Wolfsburger Allgemeine“ aus der Strafanzeige. Es soll eine „Arbeitgeberanweisung“ erlassen worden sein, dass Heimbewohner seit Beginn der Corona-Epidemie „nur noch einmal im Monat gewaschen werden“ dürften. Urin, Kot und Erbrochenes seien in den Zimmern „allgegenwärtig“. Zudem verfüge das Pflegepersonal entgegen der Vorschriften über keine Mundschutzmasken, nur um die Bewohner nicht „zu verschrecken“. Zudem seien die Mitarbeiter der Diakonie nicht auf das Coronavirus getestet worden.
Richter bestätigte am Mittwoch gegenüber FOCUS Online, dass die zitierten Passagen „im Großen und Ganzen“ stimmten. Das gelte auch für die Tatsache, dass er die Strafanzeige aus eigenem Antrieb und nicht für andere Personen gestellt hätte.