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Der preußische Regierungsagent Karl Marx

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Der preußische Regierungsagent Karl Marx

Wie der Schwager des preußischen Innenministers Ferdinand von Westphalen der berühmte Theoretiker der Kommunisten wurde.


Man habe abends oft noch beim Wein gesessen, der Chefredakteur und seine Kollegen, und wenn die Reihe der geleerten Flaschen beachtlich lang geworden war, habe Marx mit vor königlichem Vergnügen boshaft funkelnden Augen die Runde abgeschätzt. Jäh fuhr dann ein Finger auf einen der schockierten Freunde: "Dich werde ich vernichten."
Fitz J. Raddatz, Karl Marx - Der Mensch und seine Lehre, Rowohlt TB 1987, Seite 47


Ferdinand von Westphalen war preußischer Innenminister von 1850-58. Sein Netz aus Spionen soll Freund und Feind überwacht haben. Karl Marx hatte 1843 dessen jüngere Halbschwester Jenny von Westphalen geheiratet, deren Vater Ludwig von Westphalen zuvor der Mentor des jungen Karl Marx geworden war.

Falls ich nun der Erste bin, von dem der werte Leser den obigen Verdacht vernimmt, mag er sich nicht darüber wundern: das Leben ist hart. Viele sind sicher schon früher auf den naheliegenden Gedanken gekommen und haben lieber geschwiegen oder wir haben nie mehr davon gehört.
Für alle, die sich auskennen im politischen Geschäft und mit der Arbeit politischer Agenten, ein kurzer Blick in den Lebenslauf des Karl Marx reicht dem kundigen Auge, denn solche Zufälle gibt es nicht in einem gewöhnlichen Leben.

Wer es für history fiction hält, soll es als spannenden Roman :D lesen, um auf diesem Weg irgendwann hoffentlich zu realisieren, dass die vielen Rätsel des Lebens und der Karriere von Karl Marx nur so eine ganz einfache Erklärung finden.


Vorwort

Ein Regierungsagent arbeitet auf der höchsten Ebene der Politik und ist von Beruf Schriftsteller, Journalist, Wissenschaftler, Künstler, Abgeordneter oder lebt von „Zuwendungen von Freunden“ oder gar von „Verlagsvorschüssen“, wie unser Freund Charlie, dessen finanzielle Verhältnisse uns noch beschäftigen werden.
Selbstverständlich hat der Regierungsagent einen hohen Geldbedarf, sollte er doch auf gleicher gesellschaftlicher Ebene mit wichtigen Leuten auch in den Salons von Paris verkehren, in seiner privaten Bibliothek in London Freunde empfangen und vor allem immer wieder den völlig mittellosen politischen Querköpfen seine Hilfe anbieten können für entsprechende Gegenleistungen und politische Unterwerfung. Er hat Reisen zu finanzieren, Übernachtungen in besseren Hotels und darf nicht auch noch wirklich Zeit darauf verwenden müssen, sich das Geld mit Arbeit zu verdienen. Falls so einer nicht reich geerbt oder geheiratet hat, braucht er andere Finanzquellen, als es die üblichen Verlagshonorare für politische Bücher oder Artikel jemals sein könnten.

Im Gegensatz zu einem ordinären Polizeispitzel lauscht der Regierungsagent nicht am Fenster oder an der Tür des Salons, sondern er sitzt selber im Salon als bester Freund seiner Zielperson oder Zielgruppe; er stiehlt und öffnet nicht heimlich Briefe, aus denen er dann seine Informationen bezieht, sondern diese Briefe mit allen wichtigen, von ihm selber gegebenenfalls erbetenen Informationen werden von seinen gutgläubigen Freunden an ihn ganz persönlich adressiert.
Man findet später keine Akten mit Spitzelberichten in einem Polizeiarchiv, keine Verpflichtungserklärung für die Geheimpolizei und es gibt keinen ausgehandelten Agentenlohn mit Pensionsanspruch. Die benötigten Mittel stammen aus geheimen Quellen der Regierung, also in der Regel des Innen- oder Außenministeriums, ohne Belege und ohne geschwätzige Zeugen. Trotzdem sollte es natürlich Verdächtigungen gegeben haben, weil im politischen Geschäft die Regierungsagenten sich üblicherweise die Türklinken reichen und jeder, der selber dazugehört, die anderen Leute entsprechend unter Verdacht hat.

Regierungsagenten müssen möglichst viele und möglichst intensive Kontakte zu einflussreichen politischen Persönlichkeiten unterhalten. Ein normaler Mensch schafft das schon zeitlich nicht, zweitens hätte er kein Interesse an den ja nicht immer besonders angenehmen Zeitgenossen, weiß wohl auch um ihre Bedeutung nicht, sollte er einem davon zufällig begegnen, und schließlich würden ihm Geld und Gelegenheiten fehlen.

Eine professionelle „Freundschaft“ mit einer Zielperson wird angebahnt. Man kann nicht unvorbereitet mit einem Theologen über die Leben-Jesu-Forschung disputieren und danach noch mit dessen weiterer Freundschaft rechnen: da braucht es schon gezielte Einweisung, genaue Kenntnis des Denkens und der Standpunkte und der Vorlieben und persönlichen Umstände etwa eines Bruno Bauer. Eine Zufallsbekanntschaft würde sicher scheitern, aber Empfehlungen mit entsprechendem Hintergrund, irgendetwas für die Hoffnungen und Erwartungen der Zielperson, wichtige Informationen, mit denen ein Charlie gerade dienen kann, scheinbar zufälliges gesellschaftliches Aufeinandertreffen und gemeinsame Bekannte, die auch im Dienst des Ministeriums den jungen Mann ganz überschwänglich dem Bauer preisen und die Kontakte anbahnen…

Man kann auch nicht jeden als Regierungsagenten verwenden. Wut auf erfolgreichere Leute, die man im Auftrag und mit Unterstützung der Regierung politisch vernichten kann, ist ein gutes Motiv. Es war wohl sein Motiv und der preußische Regierungsrat Ludwig von Westphalen dürfte es an dem ehrgeizigen Sohn seines Freundes Heinrich Marx in Trier früh erkannt und noch gepflegt haben. Karl Marx war bestimmt kein angenehmer Charakter und ein Ludwig von Westphalen hat sich ganz sicher nicht aus Knabenliebe für unseren Freund interessiert und sich die Mühe gemacht, ihm die für seine späteren Aufgaben wichtigen geistigen Hintergründe zu vermitteln. Das war aber wichtig, weil einer das Agentenleben eben auch nicht auf der Schule oder im bürgerlichen Elternhaus lernt, höchstens vom Vater eines späteren preußischen Innenministers.

Dass er noch seine Tochter heiratet, war wohl vom Mentor nicht geplant.

Wir werden mit der Familie der Edlen von Westphalen beginnen und den preußischen Verhältnissen in Trier und darauf folgend die „Freundschaften“ betrachten, bei denen Marx sich immer wieder an damals gerade im politischen Fadenkreuz stehende Persönlichkeiten als hilfreicher Freund und Bewunderer herangemacht hat, um alsbald dann die Freundeskreise zu sprengen und diese ehemaligen Freunde noch über Jahre mit seinem Hass und ganzen Büchern zu verfolgen.

Es wird dabei deutlich zu erkennen sein, dass Karl Marx sich in den noch darzustellenden Fällen (Bauer, Ruge, Herwegh, Feuerbach, Weitling…) wie ein professioneller Regierungsagent verhalten hat, dessen Aufgabe es ist, solche regierungsfeindlichen Leute durch engste „freundschaftliche“ Beziehungen zu umgarnen, zu täuschen, zu beeinflussen, gegeneinander aufzubringen und politisch möglichst bald und nachhaltig auszuschalten.

Das sollte als Beweis dann reichen.
Wem seine großen Theorien nützlich waren, wird sich dabei auch noch zeigen.

Sicher wird man sich fragen, warum ich Karl Marx demontieren will.

Erstens aus Prinzip, weil die Sache für jeden politisch wirklich erfahrenen Menschen gar nicht anders gesehen werden kann.
Zweitens um zu verhindern, dass auch in Zukunft kritische Leute auf den Spuren ihres großen Vorbilds und Vordenkers Karl Marx zum Schluss für die Herrschenden arbeiten.
Drittens um den Lesern vorzuführen, wie Politik in dieser Ebene funktioniert, weil damit jeder rechnen und vorgewarnt sein sollte, der sich gegen die herrschenden Verhältnisse engagiert. Da wird heute noch nicht anders vorgegangen mit Regierungsagenten und Spitzeln und Provokateuren; und wer sich auf die Kritik der Verhältnisse und politische Aktivitäten einlässt, sollte zuerst einmal den besten Freunden und den größten Vorbildern nicht trauen.

Dafür, wie die Politik im 19. Jahrhundert, das in jeder Beziehung sehr folgenreich war, tatsächlich gelaufen ist, haben wir in Lebenslauf und Schriften von Karl Marx wichtige Zeugnisse und reiche Quellen. Es soll also auch eine Empfehlung sein, Karl Marx zu studieren, allerdings nicht den gequirlten Käse im Kapital, sondern seine Briefe, Artikel und tagespolitischen Stellungnahmen.

Viele werden sich weigern, ihren Glauben an den großen Revolutionär Karl Marx aufzugeben. Sie werden sich keinen Augenblick darüber wundern, warum Schulen, Universitäten und Massenmedien im Kapitalismus ausgerechnet den angeblich gefährlichsten Feind dieses Systems in der Vorstellung der Leute zum gefährlichsten Feind dieses Systems hochstilisieren sollten.

Die Reaktionen der Leser werden mehrheitlich so ähnlich sein wie bei der Geldpolitik: die Fachleute wissen genau, dass die Notenbanken die Wirtschaftskrisen und die Massenarbeitslosigkeit verursachen, aber das Publikum hält jeden, der das den Leuten verraten möchte, für den größten Spinner. Wie sollte sich eine derartige Verschwörung über so lange Zeit geheim halten lassen, fragen sich die Leute dann und ahnen nicht, wie leicht es für die Herrschenden ist, sie zu täuschen und zu belügen, aber wie schwer, das Publikum über Täuschungen und Lügen aufzuklären: sie selber sind der beste Beweis dafür.
 
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Philipp von Westphalen (1724-1792)

Sein Vater Johann Christian Westphal hatte es bis zum Hofpostmeister in Braunschweig und damit an die Spitze des Postdienstes im Herzogtum Braunschweig gebracht. In der damaligen Zeit war der Chef des Postdienstes eine wichtige Vertrauensperson des Herrscherhauses und hatte in Kriegs- und Friedenszeiten die politischen Korrespondenzen unter seiner Obhut.

Nach einer mehrjährigen Reise durch Süddeutschland, Frankreich und Italien in Begleitung eines jungen Herrn von Spiegel wurde Philipp ab 1751 Sekretär des preußischen Generalleutnants Ferdinand von Braunschweig.

Im Siebenjährigen Krieg ab 1756 erhielt Ferdinand 1757 den Oberbefehl auf dem westlichen Kriegsschauplatz und Philipp Westphal wurde der inoffizielle Generalstabschef und Oberquartiermeister des Herzogs, offiziell seit 1762 sein Geheimsekretär. Das ausgezeichnete Zusammenwirken von Philipp und Ferdinand soll für die militärischen Erfolge maßgeblich gewesen sein. Für seine Verdienste wurde er durch einen kaiserlichen Adelsbrief 1764 als „Edler von Westphalen“ in den Adelsstand erhoben.

Der Marx-Biograph Mehring schreibt dazu: „Bürgerlicher Geheimsekretär des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, der im siebenjährigen Kriege an der Spitze eines bunt zusammengewürfelten, von englischem Gelde besoldeten Heeres das westliche Deutschland erfolgreich vor den Eroberungsgelüsten Ludwigs XV. und seiner Pompadour schützte, hatte sich Philipp Westphalen zum tatsächlichen Generalstabschef des Herzogs zu machen verstanden, allen deutschen und englischen Generalen des Heeres zum Trotz."
Quelle: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_007.htm

Der britische König Georg III. aus dem Hause Hannover hatte ihm den Titel des Generaladjutanten des Heeres verliehen, von dem Philipp allerdings keinen Gebrauch machte, und außerdem eine jährliche Pension von 200 Pfund Sterling. Von der kurhannoverschen Regierung erhielt er eine Jahrespension von 500 Talern.

Im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763, auch Dritter Schlesischer Krieg genannt) kämpften mit Preußen, Großbritannien/Kur-Hannover auf der einen Seite und Österreich, Frankreich, Russland auf der anderen Seite alle europäischen Großmächte der Zeit. Viele mittlere und kleine Staaten waren ebenfalls beteiligt. Der Krieg wurde in Mitteleuropa, Nordamerika, Indien, der Karibik sowie auf den Weltmeeren ausgefochten und war damit in gewissem Sinne eigentlich der zweite Weltkrieg nach dem Spanischen Erbfolgekrieg. Für England und Frankreich ging es hierbei um die Herrschaft in Nordamerika und in Indien.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Siebenjähriger_Krieg

Im britischen Feldlager hatte er die Schwägerin des Kommandanten der britischen Truppen kennengelernt, Jeanie Wishart (of Pittarow), Tochter des Stadtpfarrers Dr. George Wishart in Edinburgh und der Anne Campbell mit Vorfahren im schottischen Land- und Hochadel, die 1765 seine Frau wurde. Trotz der schottischen Abstammung waren die Vorfahren nicht katholisch und nicht franzosenfreundlich, sondern, wie Mehring schreibt: „einer ihrer Vorfahren in gerade aufsteigender Linie hatte im Kampfe für die Einführung der Reformation in Schottland den Scheiterhaufen bestiegen, ein anderer, der Earl Archibald Argyle, war als Rebell im Freiheitskampfe gegen Jakob II. auf dem Marktplatze in Edinburgh enthauptet worden“.

Im Gegensatz zu Mehring wollen wir daraus aber nicht den Schluss ziehen, dass die Kinder dieser Ehe folglich dem Junkertum entfremdet worden seien, sondern dass die Kinder protestantisch und franzosenfeindlich aufwachsen mussten, jeglichen politischen Umtrieben und geheimer Diplomatie und sonstigen Machenschaften zugeneigt und mit dem dafür noch nötigen Wissen und den Verbindungen ausgestattet.

Die Berichte des Philipp an Friedrich II. von Preußen flossen später in dessen Werk über den Siebenjährigen Krieg ein. Seine eigenen Berichte aus dem Krieg reichten nur bis zum Jahr 1758 konnten aus Rücksicht auf noch lebende Beteiligte erst von seinem Enkel publiziert werden.


Philipp von Westphalen: Geschichte der Feldzüge Herzog Ferdinands von Braunschweig-Lüneburg, hrsg. von Ferdinand von Westphalen, Berlin 1859-72
online bei Google Books:
http://www.google.de/books?id=agwPA...weig-Lüneburg&ei=QFiPSLFTp-6MAa2Xzf4E#PPR3,M1

Eintrag in der ADB: http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/adb/images/adb042/@ebt-link?target=idmatch(entityref,adb0420230)
 
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Hellmann
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Ludwig von Westphalen (1770-1842)


Ludwig war einer der vier Söhne des Philipp, der nach dem Verkauf seines Lehnsgutes für 40.000 Taler eine Besitzung in Mecklenburg erworben hatte und sich geschichtlichen Studien und der Erziehung seiner Söhne widmete. Den Winter verbrachte der Vater in Braunschweig, wo seine vier Söhne das Collegium Carolinum besuchten.

Nach seinem Studium in Göttingen trat Ludwig von Westphalen für kurze Zeit (1794-97) in den braunschweigischen Staatsdienst ein, versuchte sich dann jedoch nach seiner Heirat mit Elisabeth von Veltheim (1778-1807) als Gutsbesitzer, womit er wirtschaftlich scheiterte.

Aus Ludwigs erster Ehe mit Elisabeth von Veltheim stammte Ferdinand Otto von Westphalen (1799-1876), der spätere preußische Innenminister; aus seiner zweiten Ehe mit Caroline Heubel (1776[1779?]-1856) hatte er die Tochter Jenny und den Sohn Edgar.

Hier eine Karte mit dem Königreich Westphalen im Jahr 1807:
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Rheinbund_1807.png

Als 1807 der napoleonische Modellstaat Westphalen gegründet wurde, trat Ludwig in dessen Dienste und wurde im Sommer 1809 zum Unterpräfekten in Salzwedel ernannt, wo er sich nach dem frühen Tod seiner ersten Frau mit seiner zweiten Frau Caroline Heubel verheiratete, einer Bürgerlichen.

Mit dem Königreich Westphalen wollte Kaiser Napoleon nach dem Frieden von Tilsit einen französischen Vasallenstaat unter seinem jüngsten Bruder Jerome und Katharina von Würthemberg als König und Königin schaffen. Westphalen erhielt als erster deutscher Staat eine schriftliche Verfassung und ein Parlament, die Leibeigenschaft wurde abgeschafft, der Code Civil und die Gewerbefreiheit eingeführt.

Das Königreich Westphalen im Jahr 1812:
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Rheinbund_1812.png

Die Finanzen des Königreichs Westphalen wurden schnell durch hohe Zahlungen an Frankreich zerrüttet und die Bevölkerung hatte nach der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht Soldaten zu stellen – in Russland kämpften dann 28.000 und in Spanien 8.000 Westphalen, von denen nur je 1.000 zurück kamen. Mit Polizei und Spitzeln versuchte man den Widerstand der Bürger zu brechen. Vor allem gegen die Konskriptionen richteten sich lokale Aufstände, im Jahr 1809 unter Führung von Wilhelm Freiherr von Dörnberg - der nach dem Frieden von Tilsit als Oberst der Gardejäger in den westphälischen Militärdienst eingetreten war und in geheimem Kontakt und Austausch mit Scharnhorst, Gneisenau, Schill und Katte stand. Im gleichen Jahr baute Friedrich Wilhelm von Braunschweig, der das Herzogtum seines Vaters zurückerobern wollte, aus eigenen Mitteln ein Freikorps auf. Er hatte mit seiner Schwarzen Schar nicht die Unterstützung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., der zur Beschwichtigung Frankreichs die Aufstellung des Freikorps zu verhindern suchte, sondern die Unterstützung des österreichischen Erzherzogs Karl.

Nach der Niederlage der Österreicher bei Wagram kämpfte sich die Schwarze Schar nach Norddeutschland an die Küste durch, wo sie nach England eingeschifft wurde, um anschließend unter dem Oberbefehl Wellingtons in Spanien und Portugal zu kämpfen. Der „Schwarze Herzog“ Friedrich Wilhelm von Braunschweig fiel zwei Tage vor der Schlacht von Waterloo 1815 in Belgien.

Wo stand unser Ludwig von Westphalen in diesen unsicheren Zeiten? Als der Sohn seines in Geheimdiplomatie bewanderten Vaters und der britischen Mutter, die am 31. Juli 1811in Salzwedel starb, wo ihr Sohn in französischem Dienst stand, insgeheim auf preußisch-britischer Seite? Ein geheimer Konspirant gegen seine Dienstherren wie der Freiherr von Dörnberg?

Laut Mehring wäre er den französischen Reformen nicht abgeneigt gewesen, jedoch der Fremdherrschaft, „und hatte im Jahre 1813 die harte Hand des Marschalls Davoust zu spüren“.

Einen Hinweis gibt uns die Verwandtschaft seiner Frau Caroline geb. Heubel, deren Vetter der Buchhändler Friedrich Perthes war. Perthes, der nach dem Tod seines Vaters in der Familie der Caroline aufwuchs, heiratete eine Tochter des Dichters Matthias Claudius. Zwar nur eine Bürgerliche, kam die Caroline Heubel doch aus sehr guten Kreisen.

Der Perthes nun beteiligte sich als Buchhändler in Hamburg am patriotischen Widerstand gegen die französische Besetzung und verlor nach der Wiederbesetzung Hamburgs durch den französischen Marschall Davoust seinen gesamten Besitz und musste fliehen. Später eröffnete er einen Buchhandel in Gotha, wir werden unten gleich wieder auf ihn zurückkommen. Es ist also anzunehmen, dass wir es auch hier nicht mit dem Zufall zu tun haben, sondern dass Ludwig von Westphalen seine im April 1812 angetraute Caroline über seine politischen Kontakte gefunden hatte.

Mit der Völkerschlacht von Leipzig im Oktober 1813 löste sich das Königreich Westphalen auf. Es wird von Jubel der Bürger beim Einzug der Kosaken und Ausschreitungen der Bevölkerung gegen die ehemaligen Bürgermeister und die unter der Franzosenherrschaft emanzipierten Juden berichtet.

Der preußische Gebietszuwachs am Rhein änderte noch einmal die Laufbahn des Ludwig. Aus „Salzwedel, wo ihm seine Tochter Jenny am 12. Februar 1814 geboren wurde, war er dann zwei Jahre später als Rat an die Regierung in Trier versetzt worden; im ersten Eifer besaß der preußische Staatskanzler Hardenberg noch die Erkenntnis, dass die tüchtigsten, von junkerlichen Schrullen freiesten Köpfe in die neugewonnenen Rheinland geworfen werden müssten, die mit ihrem Herzen immer noch an Frankreich hingen“, meint Mehring, der damit aus dem Ludwig von Westphalen so etwas wie einen Freigeist machen möchte, nicht bedenkend, dass die preußische Regierung gerade im Rheinland dringend besonders zuverlässige Leute brauchte. Mit 1800 Talern Jahreseinkommen (Monz, Karl Marx, S. 231) der höchstbezahlte „Justizangestellte“ in Trier, was er dafür genau gemacht hat, suche ich noch.

Aus der Website der Stadt Trier:

„Trier wurde nach dem Wiener Kongress von 1815 der Herrschaft des Königreichs Preußen zugeschlagen, was mit geistiger und politischer Unterdrückung sowie wirtschaftlichem Abstieg einherging. Die preußische Zollpolitik unterband den Handel der Weinbauern mit den westlichen Nachbarn und erschwerte den Weinabsatz in Preußen selbst. Dies führte in Verbindung mit hohem Steuerdruck und stetig steigenden Preisen zu großer wirtschaftlicher Not: 1831 lebte fast ein Drittel der Bevölkerung am Rand oder unterhalb des Existenzminimums. Die soziale Lage und die politischen Spannungen mit dem preußischen Staat stürmten auf den jungen Karl Marx ein…“
Quelle: http://cms.trier.de/stadt-trier/Int...6&MODULE=Frontend&ACTION=ViewPage&Page.PK=165

Das war also die politische Lage in der Stadt Trier mit ihrer katholischen Tradition und wirtschaftlichen Not und der den Preußen feindlich gesonnenen Bevölkerung, in deren Umgebung preußische Truppen stationiert wurden, mit denen und den Angehörigen der preußischen Verwaltung überhaupt erst so etwas wie eine evangelische Kirchengemeinde in Trier entstand, für die zunächst der Militärgeistliche der preußischen Garnison zuständig gewesen ist.

Nähere Informationen über die politische Lage im Rheinland und besonders in Trier erhalten wir aus einem Brief des Ludwig von Westphalen an den Vetter seiner Frau, den oben schon erwähnten Buchhändler Perthes in Gotha, vom 7. April 1831.

Bei der Interpretation des Briefes des Regierungsrates an seinen Vetter Perthes erleben wir die typische verdrehte Argumentation wie sie uns im Falle Marx noch öfter begegnen wird. Wer dazu Lust hat, kann das dann in dem Artikel „Zur Persönlichkeit von Marx´ Schwiegervater Johann Ludwig von Westphalen“ von Heinz Monz in den „Schriften aus dem Karl-Marx-Haus“, Trier 1973, nachlesen. Man macht da aus einem mit allen Fragen der inneren Sicherheit intim vertrauten preußischen Regierungsrat einen Preußenkritiker, obwohl zeitgenössische Schreiben der Bürgermeister an das Regierungspräsidium diese Fragen ganz ebenso deutlich behandeln und jede andere Denkweise innerhalb der zuständigen Regierungskreise ja auch völlig blödsinnig wäre.

Dass das Schreiben nicht einfach ein Verwandtentratsch war, ergibt sich aus dem ausdrücklichen Hinweis, die Informationen vertraulich zu behandeln:

„Nach diese allgemeinen Äußerung meiner Befürchtungen, Hoffnungen u. Wünsche komme ich auf den Stand der Dinge in unsrer Gegend, von welcher Sie Gefahr befürchten, zurück u. habe darüber Folgendes vertraulich – da ich weiß, daß dann kein öffentlicher Gebrauch gemacht wird – zu bemerken.“

Es ist natürlich unter Pfarrerstöchtern davon auszugehen, dass der bekannte Buchhändler Perthes in Gotha ebenfalls berufsbedingt für die Regierung gearbeitet hat und die erhaltenen Informationen nicht für ein Kaffeekränzchen erbeten und erhalten hatte. Es geht dann in diesem Schreiben über Seiten um die Klagen über die Steuern und die Lage der Wirtschaft und besonders der ärmeren Mittelklasse.

„Der Reg.Bezirk Trier ist wohl der schlechteste in der Monarchie. Er ist ein Gebirgsland; mit Ausnahme der sehr fruchtbaren Mosel- u. Saar Thal Gebiete u. der schmäleren Thäler der kleineren Flüsse, von äußerst steriler Beschaffenheit. Die Cultur im Ganzen auf der niedrigsten Stufe; daher wird selbst in guten Jahren der Bedarf an Brodfrüchten von dem ausgedehnten Flächen Inhalte von 119 Meilen für die schwache Bevölkerung von circa 365.000 Seelen nicht gewonnen.
Die letzten 7 – 8 Jahre sind aber als Fastjahre zu betrachten. Der Handel mit Vieh nach Frankreich, der sonst viel Geld ins Land brachte, hat wegen der hohen Abgaben von eingeführtem Viehe aufgehört; Fabriken, Manufactur u. Handel sind hier von keinem Belang; daher der große Geldmangel, die steigende Verarmung u. der wirklich große Nothstand.“


In dem Stil geht es dann weiter über die mehr Kriegs- als Friedenszeiten angemessene Landwehr und deren wiederkehrende Übungen zu den Zeiten, in denen die Leute für Feldarbeiten gebraucht würden; weiter über die Wirkungen der französischen Presse und die Sympathien für Frankreich in den höheren Klassen der Gesellschaft und unter den Gymnasiasten und Studenten.

Ein Schreiben also, nach dessen Lektüre man den kundigen Verfasser sofort mit der Leitung der lokalen Geheimpolizei betrauen möchte, falls die Stelle nicht schon von seinem Sohn besetzt wäre, statt ihn zu einem Feind der preußischen Regierung zu erklären, der dann den jungen Marx entsprechend zu revolutionären Überzeugungen angeleitet habe.
Verständlich aber, dass die herrschende Geschichtsschreibung, um keinen Verdacht auf Marx fallen zu lassen, zu entsprechend abwegigen Interpretationen der Quellen gezwungen ist.

Die finanziellen Verhältnisse der Familie des Ludwig von Westphalen waren abgesehen vom hohen Jahresgehalt recht bescheiden, also kein Vermögen vorhanden, was vermutlich auch die Heiratsaussichten der Tochter Jenny beeinträchtigt hat. Gute Beziehungen zur preußischen Regierung über den Vater und den älteren Bruder dürften die einzige nennenswerte Mitgift des Mädels gewesen sein. Das wird ihr dann aber auch den Bräutigam zugeführt haben.
 
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Hellmann
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Ferdinand Otto von Westphalen (1799-1876)

Preußischer Innenminister von 1850-58



Mehring darf an ihm kein gutes Haar lassen, es ist ja auch gar zu verdächtig:

„In dem ältesten Sohne Ludwig von Westphalens ist die Gesinnung des Vaters nicht lebendig geblieben. Er war ein bürokratischer Streber und schlimmeres als das; in der Reaktionszeit der fünfziger Jahre hat er als preußischer Minister des Innern die feudalen Ansprüche des verstocktesten Zaunjunkertums sogar gegen den Ministerpräsidenten Manteuffel vertreten, der immerhin ein gewitzter Bürokrat war. Mit seiner Schwester Jenny hat dieser Ferdinand von Westphalen in keiner engeren Beziehungen gestanden, zumal da er fünfzehn Jahre älter als sie und auch nur, als Sohn aus einer ersten Ehe des Vaters, ihr Halbbruder war.“

So leicht wollen wir es uns hier nicht machen, denn ein preußischer Innenminister verfügt für die Zwecke der Geheimpolitik über riesige Fonds, mit denen man seiner kleinen Schwester und dem stets geldbedürftigen Schwager leicht imponieren kann. Auch bei dem kleinen Bruder müssen wir uns fragen, womit er denn seinen unsteten Lebenswandel finanziert hat in Zeiten, in denen selbst mit harter Arbeit nicht viel Geld zu verdienen war, selbst wenn es nicht um Reisen bis nach Amerika ging, sondern nur um das tägliche Brot. Bei Mehring ist der jüngere Bruder natürlich der Beweis für die revolutionäre Erziehung im Hause des Ludwig von Westphalen:

„Ihr echter Bruder war dagegen Edgar von Westphalen, der nach links von den Pfaden des Vaters abwich wie Ferdinand nach rechts. Er hat gelegentlich die kommunistischen Kundgebungen seines Schwagers Marx mitunterzeichnet. Ein steter Gefährte ist er ihm freilich nicht geworden; er ging über das große Wasser, hatte dort wechselnde Schicksale, kehrte zurück, tauchte bald hier, bald dort auf, ein rechter Wildling, wo man von ihm hört. Aber ein treues Herz hat er immer für Jenny und Karl Marx gehabt, und sie haben ihren ersten Sohn nach ihm genannt.“

In den deutschen Emigrantenkreisen über dem großen Wasser hat der preußische Innenminister natürlich verlässliche Zuträger auch gebrauchen können und so war auch für den sicher liebenswerten, aber für harte Arbeit ebenso wie schmutzige Konfrontationen ungeeigneten jüngsten Sohn aus dem Hause der Edlen von Westphalen gesorgt.

Gerade in Zeiten revolutionärer Unruhen muß ein Innenminister nicht nur in Preußen mit den Methoden zur Herstellung der inneren Sicherheit vertraut sein, wozu eben das gesamte Agentenwesen zählt, vom billigen Spitzel der örtlichen Polizei bis zum hochrangigen und hochbezahlten Regierungsagenten in den führenden Kreisen der jeweiligen Gegner.

Um überhaupt Innenminister zu werden, sollte einer das dafür nötige Talent zur Aufstellung des erwünschten Spitzelsystems und Agentennetzes schon über Jahre nachgewiesen haben. Der Leser ahnt jetzt sicher, wie sich gerade Ferdinand von Westphalen für dieses höchstwichtige Regierungsamt qualifizieren konnte.

Der US-amerikanische Historiker Hajo Holborn, im Jahr 1967der erste nicht in den USA geborene Präsident der American Historical Association , schreibt in seinem Buch „A history of Modern Germany“ über den von ihm allerdings fälschlich als „Count Ferdinand“ titulierten Innenminister:

(Es gab auch eine Familie der Grafen von Westphalen, die mit unseren Edlen von Westphalen in keiner Weise verwandt waren, deren Vertreter Clemens August Reichsgraf von Westphalen zu Fürstenberg als Angehöriger des Hochadels eine Stimme beim Westfälischen Provinziallandtag hatte und während der Kölner Wirren Partei für den von der preußischen Regierung inhaftierten Kölner Erzbischof nahm – vielleicht der Grund, dass der Name „von Westphalen“ eher mit der bekannten preußenfeindlichen Grafenfamilie in Zusammenhang gebracht wurde und kein Misstrauen erweckte.)

"Police State Methods

Naturally this system produced not only supervision of the thinking of the people but also the inevitable reaction, faked conformity. In public life the situation was equally bad due to the politics of Count Ferdinand von Westphalen (1799-1876), who held the key position of minister of interior in the Manteuffel cabinet. Strangely enough, although he was the brother-in-law of Karl Marx, he was the chief confidant of the Kamarilla among the ministers. The organization of an intense spy apparatus shadowing both friends and foes was his work. Even Prince William, heir of the throne, came under surveillance after he had criticized Prussian policy during the Crimean war. The police did not hesitate to use forged documents in order to bring opponents of the government to trial, and political as well as press offenses were now withdrawn from jury trial. Even then, however, the Prussian judges stood up well to the methods of the police state. It is unnecessary to describe other corollaries of these methods, such as censorship and suppression of all forms of political association insofar as they went beyond strictly local activities."

Quelle: http://books.google.co.uk/books?id=Y...sult#PPA110,M1

Dieses Zeugnis über die Fähigkeiten des Ferdinand von Westphalen müssen wir in einem weiteren Punkt berichtigen: das „strangely enough“ kann sich nicht sinnvoll auf den „chief confidant of the Kamarilla among the ministers“ beziehen, denn gerade Karl Marx hatte ja ganz ähnliche Talente vorzuweisen. Ein Sinn ergibt sich erst mit dem nächsten Satz des Holborn, dass also „strangely enough“ die Organisation eines wirkungsvollen Spionageapparates sein Werk gewesen ist, von dem Freunde wie Feinde beschattet wurden, sogar der preußische Prinz Wilhelm.

Die uns überlieferten Maßnahmen dieses „intense spy apparatus“ gegen Schwager und Schwesterchen muten da eher ungeschickt und wenig wirkungsvoll an; eher als wären sie nur zur Schau gemacht, wir werden noch darauf kommen.
Einen Überblick über den Werdegang des Ferdinand erhalten wir in der per Internet verfügbaren Allgemeinen Deutschen Biographie ADB.

Im Jahr 1799 in Lübeck als ältester Sohn des Ludwig und seiner ersten Frau geboren, besucht er in Salzwedel das Gymnasium und absolviert danach ein Universitätstriennium von 1816-19 in Halle, Göttingen und Berlin. Ab 1819 als Auscultator beim Stadtgericht in Berlin wechselt er bald zur Verwaltung; von 1826-30 Landrat des Kreises Bitburg bei Trier, von 1830-38 Regierungsrat bei der Erfurter Regierung, 1838-43 als Oberregierungsrath und Dirigent der Abteilung des Inneren der Regierung zu Trier, 1843 Regierungsvizepräsident zu Liegnitz, 1843-49 Regierungsvizepräsident in Stettin und 1849 Regierungspräsident in Liegnitz.

Im Dezember 1850 dann Ernennung zum preußischen Minister des Inneren der Regierung Manteuffel. Der König Wilhelm IV. ist von ihm begeistert, weil er in dessen Sinn die Restauration durchzuführen beginnt.

„In der That hat unter allen Ministern der Reactionszeit keiner in dem Maaße im Geiste des Königs gehandelt als W. Als seine dringendste Aufgabe betrachtete er ganz im Sinne des Königs die Wiederherstellung der ständischen Monarchie.“
Quelle: http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/adb/images/adb042/@ebt-link?target=idmatch(entityref,adb0420223)

Verheiratet war Ferdinand von Westphalen mit Louise Mathilde Chassot von Florencourt, deren Vater herzoglich-braunschweigischer Kammersekretär war und noch zwei Söhne hatte.

Ein Bruder der Luise war Franz Chassot von Florencourt und damit ein weiterer Schwager des späteren preußischen Innenministers, der heute noch für seine politischen Umtriebe als Burschenschaftler und später sogar als Katholik bekannt ist.

Franz Chassot von Florencourt (* 4. Juli 1803 in Braunschweig; † 9. September 1886 in Paderborn) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist.
Florencourt gründete in Braunschweig 1822 den später verbotenen Jünglingsbund. Mit dem Kanonisten Friedrich Bernhard Christian Maassen gründete er 1849 die Zeitschrift "Norddeutscher Korrespondent".
Von 1834 an wurde er wegen "Demagogie" sowie "schriftstellerischen Umtrieben" über Jahrzehnte hinweg angeklagt [1]. Als er 1873 den Krieg Preußens gegen Österreich (1866) "als 'Sünde' gegen Demokratie und Recht verurteilt" [2], führte diese Zeitungsnotiz zu verschiedenen Gerichtsprozessen gegen ihn.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_von_Florencourt

Sozusagen „merkwürdigerweise“ entkam Franz Florencourt den Nachstellungen der preußischen Polizei wegen des Jünglingsbundes:

Der Jünglingsbund war eine aus den Burschenschaften auf Veranlassung von Karl Follen entstandene geheime Vereinigung.

Ursprünglich wurde der Bund in Braunschweig durch Franz von Florencourt gegründet. Nachdem die Mitglieder sich an verschiedenen Universitäten einschrieben, gewann der Bund eine größere Ausbreitung. Der Burschenschafter Sprewitz aus Jena begann Mitglieder zu werben. Es fanden sich etwa 120 Burschenschafter, darunter auch Arnold Ruge, die sich daran beteiligten. Ziel des Vereines war die Beseitigung der Regierungen und die deutsche Einheit. Nach Follens Absicht sollten der Jünglingsbund die Aktionen durchführen, die ein parallel entstehender "Männerbund" aus "führenden Demokraten" entwerfen sollte. Ein solcher Männerbund kam nie zustande.

Auf dem Nürnberger Bundestag am 12. Oktober 1822 wurde Robert Wesselhöft zum Vorsitzenden gewählt.
Im August 1823 wurde der Jünglingsbund an die preußische Polizei verraten, bevor es zu irgendeiner Aktion kam. Die Mitglieder wurden verhaftet und besonders in Preußen zu hohen Festungsstrafen verurteilt.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Jünglingsbund

Der Spitzelapparat der preußischen Polizei muß Köpfe und Namen umfasst haben, die uns heute noch ein Begriff sind. Da lauscht ja nicht das Dienstmädchen an der Tür, sondern wenn ein Dutzend Leute etwas Wichtiges planen, sind schon eine Handvoll Agenten von Polizei und Regierung darunter und haben den Auftrag, das nun zu fördern oder zu verhindern, je nach den Interessen ihrer Auftraggeber und der aktuellen Lage der Politik.

Franz von Florencourt wurde zwar über Jahrzehnte hinweg angeklagt, was ihm unter Dissidenten zu Glaubwürdigkeit verhalf, jedoch nie eingesperrt. Ohne das jetzt vertiefen zu wollen, würde ich einmal annehmen, dass auch dieser Schwager des Ferdinand von Westphalen als Regierungsagent gearbeitet hat.
Weil wir wissen, dass Regierungsagenten im Gegensatz zu gewöhnlichen Bürgern ziemlich umtriebig sind - was sie auch sein müssen, wenn sie als Agenten einen Wert haben sollen - reicht eigentlich schon ein Blick auf seine Biographie:

Florencourt spr. Florangkuhr), Franz Chassot v. F., geb. 1803 in Braunschweig, widmete sich Anfangs der Landwirthschaft, studirte später in Marburg die Rechte u. besuchte noch andere Universitäten, wo er sich an den burschenschaftlichen Verbindungen betheiligte. Er wurde nach dem Frankfurter Attentat, 3. April 1833, in Kiel zur Untersuchung gezogen, jedoch freigesprochen. Bei seinem Aufenthalt in Hamburg von 1837 bis 1839 redigirte er die Literarischen u. kritischen Blätter der Börsenhalle, begab sich 1840 nach Naumburg a. d. Saale, erwarb hier Grundbesitz u. trat in das dortige Stadtverordnetencollegium. Als Publicist vertrat er anfänglich die liberalen Ideen u. die Bestrebungen der Deutschkatholiken u. Lichtfreunde, ging aber später zu der entgegengesetzten Partei über. 1847 übernahm er die Redaction des in Grimma erscheinenden Sächsischen Verfassungsfreundes, im März 1848 die des Volksblattes für Stadt u. Land u. im Jahr 1849 die des in Rostock erscheinenden Norddeutschen Correspondenten. 1849 trat er in Schwerin zur Katholischen Kirche über, hielt sich 1850 in Frankfurt a. M. auf u. wirkte durch Wort u. Schrift für den reactivirten Bundestag, ging von hier nach Wien u. correspondirte für die in Köln erscheinende katholische Volkshalle u. übernahm die Redaction dieses Blattes später selbst, trat jedoch im April 1854 davon zurück. Go wurde 1855 Amtmann in Dringenberg im Kreise Warburg u. 1858 Procurator des Studienfonds in Paderborn.
Quelle: http://www.zeno.org/Pierer-1857/A/Florencourt

Der Übertritt zur katholischen Kirche ist seinerzeit von Marx und Engels süffisant kommentiert worden.

Die Eltern des Franz von Florencourt haben sich in ihrem Testament im Jahr 1832, in dem es um die Erbregelung im Fall ihres Todes ging, über ihren Sohn Franz bitter beklagt. Ihr Sohn Franz habe ihnen soviel Ursache zur Unzufriedenheit gegeben, dass er nur ein Pflichtteil des Erbes erhalte, wovon die Hälfte nicht ausgezahlt, sondern als Leibrente zum Schutz vor vollständiger Armut angelegt werden solle. Der zum Executor ihres letzten Willens ernannte Regierungsrath von Westphalen möge den Franz sogar unter Curatel setzen lassen, falls seine Verhältnisse oder sein Betragen es notwendig erscheinen ließen. (Georg Eckert, Jenny Marx und die Familie von Florencourt, Schriften aus dem Karl Marx Haus, Trier, Heft 9, Seite 121ff).

Sich selbst beschrieb Franz, der anscheinend in seiner Pubertät in schwere Konflikte mit Elternhaus und Schule geraten war, als tiefverschlossenes Kind, das sein „eben so gütiger und kluger Vater“ für „völlig gefühllos und liebeleer hielt“ (ebenda, S. 115/116). Ganz perfekt also für solche Zwecke.
 
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Heinrich Marx (1777-1838), Advokat in Trier


Seine Frau Henriette, geb. Presburg, war über ihre Ururgroßeltern mit Heinrich Heine verwandt. Der Vater nannte sich Marx Levi und war Rabbiner in Trier, der Bruder von Heinrich war dessen Nachfolger Oberrabbiner Samuel Marx in Trier.

Nach dem juristischen Studium in Berlin und Koblenz nahm er 1814 seine Tätigkeit als Anwalt in Trier auf. 1816 oder 1817 ließ er sich von dem evangelischen Divisionsprediger Mühlenhoff taufen. Der König von Preußen hatte im Jahr 1815 die Juden von den öffentlichen Ämtern ausgeschlossen; allerdings sollte man daraus nicht folgern, dass Heinrich Marx der Religionswechsel nun schwer gefallen wäre und er deswegen gar zu einem Gegner preußischer Politik geworden wäre, wie es auch Mehring richtigstellt:

„Jude, Rheinländer, Rechtsgelehrter, so daß er gegen alle Liebreize des ostelbischen Junkertums dreifach hätte gepanzert sein müssen, war Heinrich Marx doch preußischer Patriot, nicht in dem faden Sinne, den dies Wort heute hat, sondern preußischer Patriot etwa von dem Schlage, wie ihn die älteren von uns noch in den Waldeck und Ziegler gekannt haben: mit bürgerlicher Bildung gesättigt, in gutem Glauben an die altfritzige Aufklärung, ein »Ideologe«, wie sie Napoleon nicht ohne Grund haßte. Was dieser unter »dem tollen Ausdruck von Ideologie« verstand, schürte zumal den Haß des Vaters Marx gegen den Eroberer, der den rheinischen Juden die bürgerliche Gleichberechtigung und den rheinischen Landen den Code Napoléon geschenkt hatte, ihr eifersüchtig behütetes, aber von der altpreußischen Reaktion unablässig angefeindetes Kleinod.
Sein Glaube an den »Genius« der preußischen Monarchie ist auch nicht dadurch erschüttert worden, daß ihn die preußische Regierung gezwungen hätte, um seines Amtes willen seine Religion zu wechseln. Das ist wiederholt behauptet worden und auch von sonst unterrichteter Seite, anscheinend um zu rechtfertigen oder doch zu entschuldigen, was weder einer Rechtfertigung noch auch nur einer Entschuldigung bedarf. Selbst |9| vom rein religiösen Standpunkt hatte ein Mann, der mit Locke und Leibniz und Lessing seinen »reinen Glauben an Gott« bekannte, nichts mehr in der Synagoge zu suchen und fand noch am ehesten einen Unterschlupf in der preußischen Landeskirche, in der damals ein duldsamer Rationalismus herrschte, eine sogenannte Vernunftreligion, die selbst auf das preußische Zensuredikt von 1819 abgefärbt hatte.

So ist manches lange Jahrzehnt hindurch der Übertritt zum Christentum für die freien Köpfe des Judentums ein zivilisatorischer Fortschritt gewesen. Und nicht anders ist der Religionswechsel zu verstehen, den Heinrich Marx im Jahre 1824 mit seiner Familie vollzog. Möglich, daß auch äußere Umstände nicht die Tat selbst, aber den Zeitpunkt der Tat bestimmt haben. Die jüdische Güterschlächterei, die in der landwirtschaftlichen Krisis der zwanziger Jahre einen heftigen Aufschwung nahm, hatte einen ebenso heftigen Judenhaß auch in den Rheinlanden erregt, und diesen Haß mitzutragen hatte ein Mann von der unantastbaren Redlichkeit des alten Marx weder die Pflicht, noch auch nur - im Hinblick auf seine Kinder - das Recht.“

Quelle: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_007.htm

Man will manchmal den Vater Heinrich Marx zu einem Opfer preußischer Repression und daher Preußenfeind stilisieren, um die revolutionäre Entwicklung seines Sohnes Karl als konsequente Fortsetzung erscheinen zu lassen.

Dazu sollten wir uns die evangelische Gemeinde in Trier vor Augen führen. Sie bestand aus den Offizieren der preußischen Garnison und den Spitzenkräften der preußischen Verwaltung in Trier, wie eben dem Ludwig von Westphalen und seiner Familie. Der Rest der Bevölkerung war überwiegend katholisch, einige jüdisch.

Einen auch nur heimlichen Gegner Preußens aus der Synagoge in die winzige und damit zugleich elitäre evangelische Gemeinde zu zwingen, in der sich sämtliche Persönlichkeiten befanden, die in Trier die preußischen Interessen vertraten, wäre sicher noch dem verbohrtesten Anhänger preußischer Staatsräson niemals in den Sinn gekommen.

Man hätte ihn in der Gemeinde wohl nicht gut aufgenommen, würden Zweifel an ihm bestanden haben. Aber nachdem die tonangebenden Vertreter der heutigen Forschung ja schon den Ludwig von Westphalen zu einem engagierten und profilierten Preußenkritiker umgedeutet haben, braucht uns dasselbe bei Heinrich Marx nicht mehr zu wundern, höchstens zu amüsieren.
Jedenfalls hätten also die beiden Männer wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der preußischen Politik auch noch enge Freundschaft miteinander geschlossen, will man das Publikum glauben machen.

Heinrich Marx brachte es in Trier zu gutbürgerlichem Wohlstand und war Vorstand der Advokatenschaft.
 
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Karl Marx (1818-83), die Jugendjahre in Trier


Die Familien Marx und Westphalen standen in engem Kontakt und die Kinder waren Spielgefährten. Nach der Biografie von Raddatz sei der alte von Westphalen für den jungen Karl Marx zu einem „Über-Ich und Über-Vater“ geworden(S. 31):

„Der etwa 60jährige Ludwig von Westphalen nahm den ältesten Sohn seines Freundes Heinrich Marx auf lange Wanderungen mit, zitierte Homer oder Shakespeare, begeisterte den jungen Mann für die romantische Literatur und sprach über etwas bislang gänzlich Unbekanntes – den Sozialismus. Durch ihn hörte Karl Marx erstmals von den Lehren Saint-Simons. Ein ganz und gar sonderbares Gespann – des Nobelmanns Neigung richtete sich auf einen Ideal-Sohn, Lehrling; Marx` Bewunderung, ja Zuneigung galt einem jugendstarken Greis, einem männlichen Intellekt. Einem Herrn.“

Ehe wir jetzt an abwegige Neigungen eines Nobelmannes denken, sollten wir spätestens beim Stichwort Sozialismus davon ausgehen, dass wir es bei Ludwig von Westphalen sicher nicht mit einem Sozialisten zu tun haben, aber wohl mit einem Mann, der einem zukünftigen Agenten der Regierung die erforderliche politische Bildung vermitteln kann.

Dazu gehörten die Lehren des in den 1830/40er Jahren zu Einfluss gekommenen Saint-Simon; der „utopische Sozialismus“ – wie diese und alle ähnlichen dann bald unter dem Einfluss von Marx und Engels abwertend bezeichnet werden sollten.

Der Ludwig von Westphalen hat ihn scharf gemacht, den Hund.

Der ist ihm dann dafür ewig dankbar gewesen und hat noch als 23jähriger seine Doktorarbeit „seinem teuren väterlichen Freunde … als ein Zeichen kindlicher Liebe“ gewidmet und nicht etwa seinem Vater.

In der Literatur wird diskutiert, welchen politischen Einfluss auf den jungen Marx das Gymnasium in Trier gehabt haben könnte, welches er vom 12. Lebensjahr an besuchte und wo er mit 17 Jahren 1835 das Abitur bestand. Sein Mitschüler war Edgar von Westphalen, der 1819 geborene jüngste Sohn des Ludwig und Bruder der späteren Frau von Karl Marx, Jenny, die vier Jahre älter war.

Direktor der Schule war Johann Hugo Wyttenbach, der auch die Stadtbibliothek in Trier die ersten 50 Jahre leitete und der einst als junger Lehrer dem Johann Wolfgang von Goethe die antiken Bauwerke Triers zeigen und erklären konnte, als Goethe nach der Kanonade von Valmy vom fehlgeschlagenen Feldzug gegen die französische Revolutionsarmee aus Frankreich zurück kam.

Einige Lehrkräfte des Gymnasiums vertraten politische Ansichten, die zu ihrer heimlichen Überwachung führten. Ein in der Revolutionszeit abgefallener ehemals katholischer Geistlicher wirkte als Deutschlehrer von Marx und die Ideen der französischen Revolution waren unter den Lehrern noch lebendig. Nach dem „Casinozwischenfall“ des Jahres 1834 – die Marseillaise war gesungen worden – wurden beteiligte Lehrer von der Polizei verhört. Ein Oberlehrer für Naturkunde und Physik hat nach seiner Personalakte im Staatsarchiv Koblenz Bibelstellen spöttisch zitiert und die Schüler in ihrem Glauben verunsichert.

Laut einem Schreiben des Regierungspräsidenten in Trier 1833 (Heinz Monz, „Der unbekannte junge Marx“, Mainz 1973, Seite 17) wurde ein Lehrer Schwendler beobachtet, dessen Einfluss auf die Gymnasiasten höchst gefährlich sei. Er war der Französischlehrer von Marx. Wyttenbach und der Französischlehrer Simon werden als Gleichgesinnte genannt. Nach einem weiteren Brief des Regierungspräsidenten vom 11. Juli 1833 bestehe kein Zweifel, dass unter den Gymnasiasten „kein guter Geist herrsche und solcher durch mehrere Lehrer absichtlich unterhalten werde“ (ebenda, S. 18). Nach einem Entwurf des Oberpräsidenten in Koblenz 1834 an das Ministerium in Berlin übe der Lehrer Schwendler, ein Sekretär der Casinogesellschaft, einen schlechten Einfluss auf die Schüler aus; eine Ministerialkommission fordert vom Oberpräsidenten in Koblenz 1834 Abhilfe gegen diese „verderbliche Richtung“ mit Hinweis auf Schwendler und Simon.

Bei einem von der preußischen Regierung zum zweiten Direktor ernannten reaktionären Lehrer Dr. Loers habe Marx nach seinem Abitur keinen Abschiedsbesuch gemacht, was dessen Vater beklagte, weil der Dr. Loers dieses Verhalten sehr übel empfunden habe.

Das wird heute als Beleg für die kritische Gesinnung des jungen Marx genommen, der hier bereits Partei ergriffen habe.

Natürlich soll der junge Marx durch seine Lehrer politisch schon auf den revolutionären Kurs gebracht worden sein, wie ja auch von seinem Vater und dem Geheimen Regierungsrat Ludwig von Westphalen.

Wir wissen allerdings nicht, in welchem Verhältnis Marx zu diesem Dr. Loers stand und was sich da im Verborgenen der Überwachung dieses Gymnasiums abgespielt hat.

Auch mit wenig Phantasie darf man sich vorstellen, dass die Überwachung der Lehrer mit Hilfe von Schülern stattfand, dass bei Karl Marx wie bei Edgar von Westphalen zumindest ein Versuch gemacht wurde, Auskunft über den Unterricht der oben genannten überwachten Lehrer zu bekommen. Ob er es getan hat, gern getan hat - oder etwa sich verweigert hat, können wir nur spekulieren.

Der höchstbezahlte „Justizangestellte“ Ludwig von Westphalen konnte sich ja wohl kaum weigern, mit seinem Sohn Edgar an diesem leidigen Problem der preußischen Regierung mit dem Gymnasium in Trier mitzuwirken, um nicht die Karriere des Ferdinand zu gefährden, falls ihm das überhaupt ein moralisches oder sonstiges Problem gewesen sein sollte, wofür es keine Hinweise gibt, außer dass er nach außen immer selber einen sehr liberalen Eindruck vermitteln konnte, was natürlich die Grundlage erfolgreicher Arbeit ist.

In ihrer Reifeprüfung mussten die nur sieben evangelischen Schüler auch einen Religionsaufsatz über „die Vereinigung der Gläubigen mit Christo“ schreiben.

Der Religionslehrer dieser 7 Schüler war der 1817 zum „Konsistorialrat in der Königlichen Regierung zu Trier“ ernannte evangelische Regierungs- und Schulrat Johann Abraham Küpper, der im Wechsel mit dem Garnisonspfarrer auch die Gottesdienste der kleinen evangelischen Zivilgemeinde in Trier zu halten hatte. 1849 wurde Küpper evangelischer General-Superintendent der Rheinprovinz in Koblenz.

Ohne jetzt näher auf die Abituraufsätze der armen Schüler einzugehen, sei doch der Kern der Beurteilungen des Karl und des Edgar durch Küpper erwähnt (zitiert nach Manfred Henke in „Der unbekannte junge Marx“, S. 140,143).

Marx – „gedankenreiche, blühende, kraftvolle Darstellung, die Lob verdient, wenngleich das Wesen der fraglichen Vereinigung gar nicht angegeben…“
v. Westphalen – „nur theilweise befriedigend gelöst…, so ist doch der letzte Theil gelungen zu nennen, und die Arbeit im Ganzen lobenswerth“


Die Kritik der anderen Schüler durch diesen der Regierung in Trier und Koblenz eng verbundenen Mann war teilweise recht ruppig. Dagegen waren über die Jahre weder Karl noch Edgar anscheinend als angehende Materialisten oder gar Revolutionäre negativ aufgefallen.
 
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Karl Marx als Student im Doktorclub


Es kann schon seit Mehrings Marxbiografie dem aufmerksamen und kundigen Leser nicht entgangen sein, welch merkwürdiges Studentenleben dieser Karl Marx da geführt haben musste.
Die Kunst des Schriftstellers Mehring besteht darin, den Leser einerseits mit allen eindeutigen Hinweisen zu versehen, andererseits aber mit den lächerlichsten Kommentaren die eigentlich völlig klar auf der Hand liegenden Schlüsse zu vermeiden.

Nach seinen Ausschweifungen als Student der Uni Bonn habe der Vater bestimmt, das Studium in Berlin fortzusetzen. Nanu? Was wollte der Vater mit dem Nichtsnutz in Berlin? Das ist doch eine ungewöhnliche Entscheidung, den in Bonn ein ausschweifendes Leben führenden Sohn noch weiter weg zu schicken, wo der Vater gar keine Kontrolle mehr haben konnte.

Aber gut, vielleicht wollte man ihn ja auch von seiner heimlichen Verlobten Jenny fernhalten, könnte man hier noch einwenden. Bonn lag nahe an Trier.

Natürlich war Marx in Berlin mit anderen Aufträgen als einem Studium voll ausgelastet und das dürfte auch der Grund für die Entsendung nach Berlin gewesen sein.

„Am 22. Oktober 1836 war Karl Marx immatrikuliert worden. Um die akademischen Vorlesungen hat er sich nicht viel gekümmert; in neun Semestern hat er ihrer nicht mehr als zwölf belegt, hauptsächlich juristische Pflichtkollegien, und selbst von ihnen vermutlich wenige gehört“, schreibt Mehring über den merkwürdigen Studenten, der es nach neueren Erkenntnissen zwar auf 23 Vorlesungen brachte (Rüdiger Thomas, „Der unbekannte junge Marx“, Mainz 1973, S. 164), in den drei letzten Semestern dann aber nur noch je eine Vorlesung: die letzte juristische im WS 37/38 Rudorff über Erbrecht, danach im SS 1838 Bruno Bauer über Jesaias und im folgenden WS Geppert über Euripides. Vielleicht hat Mehring nur die juristischen Vorlesungen gezählt.

Raddatz weiß in seinem „Karl Marx – Der Mensch und seine Lehre“ Hamburg 1975, S. 26 nur von den zwölf Vorlesungen und wundert sich über eine Erklärung Marxens, er habe die Jurisprudenz nur als untergeordnete Disziplin neben Philosophie und Geschichte betrieben. Marx hat jedoch schon in Bonn Welcker über die Mythologie der Griechen und Römer, v. Schlegel zu Fragen über Homer, d´Alton zur Neueren Kunstgeschichte und im SS 1836 v. Schlegel über Elegien des Properz belegt.

Seine Hauptbeschäftigung scheint zuerst die Liebes-Dichtkunst gewesen zu sein. Er sammelt sein Werk in Heften, weil es ihm nicht gestattet gewesen sein soll, Briefe mit seiner heimlichen Verlobten Jenny zu wechseln. Von sowas lässt sich unser Genie, dieses rasend verliebte Herz, wenn wir Mehring folgen wollen, hindern? Nach einem Jahr in Berlin habe er den ersten Brief von ihr erhalten, was Mehring dann zusammen mit dem außergewöhnlichen Fleiß des Studenten so kommentiert:

„…zeigt uns im Jüngling schon den ganzen Mann, der bis zur völligen Erschöpfung seiner geistigen und körperlichen Kräfte um die Wahrheit ringt: seinen unersättlichen Wissensdurst, seine unerschöpfliche Arbeitskraft, seine unerbittliche Selbstkritik und jenen kämpfenden Geist, der das Herz, wo es geirrt zu haben schien, doch nur übertäubte.“

Seine Leser haben bis heute die feine Ironie nur nicht verstanden und es wird Zeit, den Mehring dahingehend noch einmal zu lesen.

Aus einem Brief des Vaters können wir eine Vorstellung gewinnen, womit der Sohn zuallererst beschäftigt war: „Als wären wir Goldmännchen, verfügt der Herr Sohn in einem Jahre für beinahe 700 Taler, gegen alle Abrede, gegen alle Gebräuche, während die Reichsten keine 500 ausgeben“, heißt es da etwas merkwürdig. Denn welcher Sohn verfügt schon über 700 Taler in einem Jahr seines Studiums, wenn das doch ganz eindeutig die finanziellen Verhältnisse seines Elternhauses übersteigt? Verfügt da nicht eher der Vater über eine bestimmte Summe, sagen wir einmal 70 Taler, mit der sich der Sohn zu begnügen hat?

Verständlich würde es freilich, wenn der Sohn über die 700 Taler als Spesen gegenüber seinen Auftraggebern verfügt haben konnte, die über den Vater für seine diesbezüglichen Auslagen aufkamen, solange die gewünschten Erfolge erreicht wurden, also die Kontakte in oppositionelle Kreise zustande kamen. Dann hat der Vater als Mittelsmann - außer zu Klagen und sein Unverständnis zu äußern - nichts zu melden und vielleicht gibt er mit seinen Klagen auch nur die Klagen des Ludwig von Westphalen weiter, bei dem er die Verfügungen des Sohnes vermutlich einlösen konnte, solange dessen Umtriebe in Berlin das Geld wert waren.

Natürlich bringt es Mehring fertig, auf ein und derselben Seite die hohen Auslagen des Studenten Marx abzuhandeln und sein erfolgreiches Auftreten im Berliner oppositionellen Doktorclub in keiner Weise damit zu verbinden.

„Karl Marx zählte kaum zwanzig Jahre, als er sich dem Doktorklub anschloss, aber wie so oft in seinem späteren Leben, wenn er in einen neuen Kreis eintrat, wurde er der belebende Mittelpunkt. Auch Bauer und Köppen, die ihm um etwa zehn Lebensjahre voraus waren, haben in ihm früh die geistig überlegene Kraft erkannt und sich keinen lieberen Kampfgefährten ersehnt als diesen Jüngling, der doch noch viel von ihnen lernen konnte und auch gelernt hat. »Seinem Freunde Karl Heinrich Marx aus Trier« widmete Köppen die ungestüme Kampfschrift, die er im Jahre 1840 zum hundertsten Geburtstage des Königs Friedrich von Preußen veröffentlichte.“

Aber weil wir es doch gelernt haben, allem einfältigen Idealismus und Wunderglauben an so etwas wie eine „geistig überlegene Kraft“ zu entsagen und die Welt materialistisch zu erklären, wollen wir auch hier die Dinge vom Kopf auf die Füße stellen: die Mitglieder des Doktorclubs waren finanziell nicht sehr gut gestellt, besonders die besten Köpfe nicht, wie die Bauers oder der Lehrer Köppen.

Für den, der die Rechnungen noch zahlen konnte, wenn alle anderen schon längst abgebrannt waren, für den also war es nicht schwer, gleich im Mittelpunkt der Freunde zu stehen, nicht wegen der geistig überlegenen Kraft, sondern eben mit Wirkung der „700 Taler“, über die er für solche Zwecke verfügte und von seinen Auftraggebern versehen war; das Mehrfache eines jährlichen Gehalts eines Universitätsdozenten oder eines Lehrers.

„Helmut Kreuzer
Zum vormärzlichen Bohème-Kreis der ›Freien‹ um Bruno Bauer und Max Stirner, nebst Bemerkungen über Siegfried J. Schmidt und seinen Fiktionalitätsbegriff.
Abschnitt 3

Die »Freien« treffen sich zu Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts in einigen Lokalen im Zentrum Berlins. Gegen 1842 wird ihr Haupttreffpunkt die Hippelsche Weinstube (in der sich auch schon die Kreise um E.T.A. Hoffmann und Devrient bzw. um Grabbe und Heine getroffen hatten). Im Revolutionsjahr 1848 wird Hippel zum Sammelplatz weiterer oppositioneller Intellektuellenkreise…

Als ›Senior‹ der »Freien« galt Carl Friedrich Koeppen (Historiker, Gymnasiallehrer, Publizist und später auch Autor eines Buches über Buddha). In der wichtigsten Phase ihrer kurzen Geschichte war die dominierende Persönlichkeit der Junghegelianer Bruno Bauer, den das zuständige Ministerium seiner theologischen Dozentur in Bonn beraubte, nachdem er sich als Atheist verdächtig gemacht und die Evangelien der fiktionalen Weltliteratur zugeordnet hatte. Ca. 80 zeitweilige Mitglieder und Gäste sind noch namentlich bekannt. Unter ihnen sind Marx und Engels am Anfang der 40er Jahre (aber nicht zur gleichen Zeit) und Max Stirner (der Engels noch kennen lernte)…

Die übrigen Mitglieder waren zu einem großen Teil Journalisten und Publizisten; doch gab es unter ihnen auch einzelne Lehrer, Wissenschaftler, Offiziere, Maler, Buchhändler, Studenten und nicht zuletzt junge Schriftsteller (so z.B. Wilhelm Jordan, Rudolph Gottschall, Karl Beck, Theodor Mügge, David Kalisch, Julius Leopold Klein, Reinhold Solger, etc.). Die vormärzlichen Berliner Intellektuellenkreise sind nicht strikt voneinander getrennt, sondern vermischen und überlappen sich, so dass zu den »Freien« auch Mitglieder des sogenannten »Doktorclubs« (der aus der Biographie von Marx bekannt ist) gehören…

Ihr Kreis hatte keinen zweckrationalen Charakter. Seine Merkmale waren dagegen: unbedenkliche Inanspruchnahme von Kredit, Tendenz zur gemeinsamen Kasse am Wirtshaustisch; übermütig herausfordernde Einfälle (wie der mehrfach durchgeführte, »Unter den Linden« Geld zu sammeln mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Absicht, es bei Hippel anschließend auszugeben; ein anderes Beispiel ist die Trauung Stirners, bei der weder eine Bibel noch Ringe präsent waren, als der Pfarrer eintraf. Trauzeugen waren Bruno Bauer und der Publizist Ludwig Buhl. Das junge Paar wurde mit Messingringen von der Geldbörse Bruno Bauers getraut.“

Quelle: http://www.sjschmidt.net/konzepte/texte/kreuzer3.htm

Da wurde einer schnell zum Mittelpunkt der Tafelrunde, der noch über genug Geld verfügte, die Runden zu schmeißen und den klammen Freunden Kredite zu gewähren.

Bislang hat man sich nur blöde über die vermeintliche Verschwendungssucht des Studenten Marx gewundert, wir hier aber können erstmals mit unserer materialistischen Methode die für die preußische Regierung sinnvolle Anlage dieser erheblichen Beträge vermuten.

Auch in seinem späteren Leben konnte Karl Marx dank seiner finanziellen Mittel, die uns offiziell als Geldsammlungen von Freunden, Verlagsvorschüsse, Erbschaften und Darlehen von Verwandten deklariert wurden, wie Mehring schreibt „der belebende Mittelpunkt“ werden, denn bedürftig nach Geld waren die oft genug aus ihrem Beruf geworfenen oder gar nicht erst eingestellten und ihrer sonstigen Erwerbsmöglichkeiten beraubten Oppositionellen immer.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Schicksal des Max Stirner, der sogar als Übersetzer des Adam Smith und des Jean Baptiste Say nicht genug Geld machen konnte, um in seinem letzten Lebensjahrzehnt der zweimaligen Schuldhaft zu entgehen, während unser Marx sogar für nie entstandene Bücher horrende Vorschusszahlungen eingestrichen haben soll, die die Verleger später vergeblich zurückgefordert hätten.

„Seine wirtschaftstheoretischen Erfahrungen sammelte er als Übersetzer bedeutender Ökonomen wie Jean Baptiste Say und Adam Smith. Stirner übersetzte deren Werke: „Cours complet d’économie politique pratique“ und „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“. Diese Übersetzungen dienten ihm auch als ein weiterer Versuch des Geldverdienens, was aber nicht den erwarteten Erfolg brachte.
Seine Übersetzungen galten bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein als unübertroffen. Stirners Übersetzungen waren auch Basis für alle späteren Übersetzungen. Erst Horst Recktenwald (1974) und Monika Streissler (1999) übersetzten z.B. Smiths Hauptwerk unabhängig von Stirner. Von Stirners Say-Übersetzung wurde, abgesehen von einem 1852 nachgedruckten Auszug, keine Neuausgabe mehr veranstaltet. Der Verlag K. G. Saur gab ab 1990 in seiner „Bibliothek der deutschen Literatur“ eine Mikrofiche-Reproduktion der Erstausgabe von Stirners Say-Übersetzung heraus.“

Quelle: http://www.msges.de/dokumente/stirner-ausstellung.pdf
 
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Promotion ohne Studienabschluss

Als Bruno Bauer von Berlin nach Bonn versetzt worden war, zunächst mit einer Dozentenstelle und der Hoffnung auf eine Professur, sollte Karl Marx seinem Freund schnell folgen. Allerdings hatte er das Studium noch nicht beendet und da wird es wieder interessant.

Mehring schreibt:

„Als Bruno Bauer im Herbst 1839 auf Marx einsprach, dieser möge doch endlich das »lumpige Examen« abmachen, hatte er insofern einigen Grund zur Ungeduld, als Marx bereits acht Semester hinter sich hatte. Aber eine Examenangst im leidigen Sinne des Wortes hat er bei Marx gleichwohl nicht vorausgesetzt, sonst hätte er ihm nicht zugetraut, die Bonner Philosophieprofessoren gleich beim ersten Anlauf über den Haufen zu rennen.

Das »lumpige Examen« hatte aber auch sonst seine Haken, wenn nicht für Bauer, so doch für Marx. Er hatte sich schon bei Lebzeiten seines Vaters für die akademische Laufbahn entschieden, ohne daß jedoch die Wahl eines praktischen Berufs deshalb völlig im Hintergrunde verschwunden wäre.“


Nach einer längeren Abschweifung über fehlende berufliche Aussichten kommt Mehring auf den springenden Punkt:

„Unter solchen Aussichten hat Marx mit seinen junghegelianischen Anschauungen überhaupt darauf verzichtet, ein preußisches Examen zu machen.“
Quelle: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_4

Unser Marx fürchtete wohl, sich im Examen endgültig zu blamieren, und hat deshalb auf ein Examen großzügig verzichtet.

Stattdessen hat er gleich einen Doktortitel erworben:

„Wenn es ihn aber nicht gelüstete, sich von den willigen Helfern eines Eichhorn hudeln zu lassen, so wich er deshalb nicht dem Kampfe aus. Im Gegenteil! Er entschloß sich, an einer kleinen Universität den Doktorhut zu erwerben, gleichzeitig seine Dissertation als einen Beweis seiner Fähigkeiten und seines Fleißes mit einem herausfordernd kühnen Vorwort zu veröffentlichen, dann aber sich in Bonn niederzulassen, um mit Bauer die geplante Zeitschrift herauszugeben. Auch die Universität war ihm dann nicht völlig verschlossen; nach ihren Statuten wenigstens brauchte er als Doctor promotus einer »ausländischen« Universität nur noch einige Formalitäten zu erfüllen, um als Privatdozent zugelassen zu werden.“

Promoviert hat er über ein Thema der Philosophie, nicht in Berlin, sondern an der Universität Jena und ohne dort überhaupt vorzusprechen. Seine Dissertation über die „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“ hat er am 6. April 1841 eingereicht und er ist gleich am 15. April 1841 in Abwesenheit zum Doktor der Philosophie promoviert worden.

Es hatte wohl Eile, dass er dem Bruno Bauer nach Bonn folgt, und da wird so etwas mit den richtigen Beziehungen möglich, was uns dann wieder die Widmung der Doktorarbeit dem Ludwig von Westphalen erklären dürfte, denn die nicht berechnende Dankbarkeit eines wirklich kindlichen Gemütes wollen wir unserem Marx doch nicht unterstellen und selbst für kindlichen Dank fehlte ein Motiv, wenn Ludwig von Westphalen mit seiner Promotion weiter nichts zu tun gehabt hätte:

Seinem teuren väterlichen Freunde…als ein Zeichen kindlicher Liebe.“
MEGA a.a.O. S. 6

Dabei war selbst das Begleitschreiben der Dissertation nicht ohne Mängel, was ein Gutachter im wohl absichtlich deutlichen Widerspruch zu seiner Empfehlung gleich vermerkt:

„Das Specimen zeugt von ebensoviel Geist und Scharfsinn als Belesenheit, weshalb ich den Kandidaten für vorzüglich würdig halte. Da derselbe nach seinem deutschen Schreiben nur die Doktorwürde zu erhalten wünscht, so ist es wohl nur ein Irrtum, entsprungen aus der Unbekanntschaft mit den Statuten der Fakultät, daß er in dem lateinischen Schreiben von der Magisterwürde spricht. Wahrscheinlich hat er geglaubt, beides gehöre zusammen.“
MEGA a.a.O. S. 254

Da wird also deutlich gesagt, dass man mit dem Herrn Marx jemanden promovieren soll und muß, der nicht nur keinen Magister erworben hat, also ohne Studienabschluss ist, sondern noch nicht einmal den Vorgang der Promotion verstanden hat.

Nach Raddatz (a.a.O. S. 40) „ist nur ein unvollständiges Exemplar der Dissertation, vermutlich eine Kopie, erhalten; da merkwürdigerweise auch keines im Universitätsarchiv Jena liegt, kann es sich aber auch um das eingereichte und zur Publikation rückverlangte Exemplar handeln.“ Eine Publikation durch Marx fand nicht statt, was ja eigentlich merkwürdig ist und gegen den Brauch. Hätten sich seinerzeit manche Leute gewundert, wenn die Dissertation publiziert worden wäre?

Ob Bruno Bauer nicht gestaunt hat, wie glatt und schnell und gegen alle Gepflogenheiten das mit Marxens Promotion in Jena abging? Vermutlich erlag Bauer der falschen Hoffnung, dass dieser wilde Hund Marx, der es schafft, ohne Studienabschluss und in Abwesenheit an einer fremden Uni einfach so in wenigen Tagen zum Doktor gemacht zu werden, auch ihm in seiner wankenden Zukunft eine Hilfe würde
 
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Die Hegelei in Berlin


Philosophie und Theologie waren in Preußen eine hochpolitische Angelegenheit und die Berufungen auf Lehrstühle davon abhängig, ob sich die vertretenen Ansichten mit den Absichten von König und Regierung im Einklang befanden.

Der Ruhm des Georg Wilhelm Friedrich Hegel war das Werk der preußischen Regierung, deren politischen Zielen die von Schopenhauer so genannte „Hegelei“ entsprach, womit die akademischen Karrieren zukünftiger Dozenten und Professoren davon abhingen, diesen Hegel für den bedeutendsten Vertreter der Philosophie zu halten.

Der vor seiner Universitätskarriere zeitweise als Hauslehrer eines Frankfurter Weingroßhändlers seinen Unterhalt verdienende Hegel hatte als Professor in Jena 1806 den Einzug der „Weltseele zu Pferde“ (Napoleon – womit eigentlich die Hegelsche „Philosophie“ schon ausreichend gekennzeichnet wäre) miterlebt, musste aber 1807 als Zeitungsredakteur nach Bamberg wechseln und noch einige Jahre an seinem opportunistischen Geschwalle feilen.

Erst relativ spät erfolgte durch die Förderung des preußischen Kultusministers Altenstein die Berufung Hegels nach Berlin, wo er von 1818 bis zu seinem Tod 1831 als Regierungsphilosoph nicht nur eine wachsende Zahl von hoffnungsvollen Studenten, sondern sogar Regierungsbeamte und Kollegen, die sich mit dieser von der Regierung in Preußen geförderten und damit für Karrieren förderlichen Lehre vertraut machen wollten, in seinen Vorlesungen versammelte.

Die Philosophie Hegels ist nach der „Weltseele zu Pferde“ auch schön mit diesem Satz (Quelle wiki) charakterisiert:

„Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, dass es wesentlich Resultat, dass es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.“ (PG 24)

Alle Hegelei ist hohles Geschwätz, das mit geschwollenen Begriffen tiefe Erkenntnisse vortäuscht, sich damit dem politischen Betrug andient und fast jedem politischen Zweck außer dem wirklichen Fortschritt der menschlichen Gesellschaft das geeignete Mittel wird:

„es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist, sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft“ (R 449 Z)

Womit dann auch der barbarischste Krieg seine hegelschen Vernunftgründe gewinnt:

"Zu den am heftigsten kritisierten Teilen in Hegels Werk gehören seine Reflexionen zum „äußeren Staatsrecht“. Hegel geht davon aus, dass es aus ontologischen Gründen notwendig mehrere Staaten geben müsse. Der Staat ist ein für sich seiender „Organismus“ und steht als solcher in einem Verhältnis zu anderen Staaten (R 490f.). Es ergibt sich so notwendig eine Vielheit von Staaten; ihr Verhältnis zueinander kann nach Hegel am besten durch den Begriff des Naturzustands gekennzeichnet werden. Es gibt keine die Staaten übergreifende machthabende und rechtsetzende Instanz. Sie stehen daher auch in keinem Rechtsverhältnis zueinander und können einander auch nicht Unrecht tun. Ihre Streitigkeiten können daher „nur durch Krieg entschieden werden“; die Kantische Idee einer vorausgehenden Schlichtung durch einen Staatenbund hält Hegel für absurd (R 500).

Hegel hält darüber hinaus den Krieg nicht für ein „absolutes Übel“, sondern erkennt darin ein „sittliches Moment“ (R 492). Er gibt den Regierungen den Ratschlag, von Zeit zu Zeit Kriege zu entfachen: Um die isolierten Gemeinwesen innerhalb des Staates nicht „festwerden, hier durch das Ganze auseinanderfallen und den Geist verfliegen zu lassen, hat die Regierung sie in ihrem Innern von Zeit zu Zeit durch die Kriege zu erschüttern, ihre sich zurechtgemachte Ordnung und Recht der Selbständigkeit dadurch zu verletzen und zu verwirren, den Individuen aber, die sich darin vertiefend vom Ganzen losreißen und dem unverletzbaren Fürsichsein und der Sicherheit der Person zustreben, in jener auferlegten Arbeit ihren Herrn, den Tod, zu fühlen zu geben“ ( PG 335)."

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel
 
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Die Junghegelianer


Begründer und Namensgeber der Junghegelianer war der Theologe David Friedrich Strauß, der im Jahr 1835 mit seiner Schrift „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ großes Aufsehen erregte. Strauß bezeichnete die Anhänger seiner Thesen zum Leben Jesu als Junghegelianer, die Gegner seiner Schrift als Althegelianer, später hieß es dann auch Linkshegelianer und Rechtshegelianer, wobei die Linkshegelianer im Verlauf der Radikalisierung der Positionen sich zuletzt dem Atheismus und Materialismus verschrieben.

Strauß hatte in seinem „Leben Jesu“ geschickt mit der Methode Hegels die Faktizität der Berichte des Neuen und Alten Testaments „aufgehoben“, also diese zugleich mit ihrer historischen Leugnung zu „ewigen Wahrheiten des Glaubens“ geadelt, was unter Hegelianern nicht so leicht anzugreifen war. Er hatte ganz hegelianisch eine historische Person Jesus von der „Menschheitsidee des Christus“ getrennt, womit dann die Berichte in den Evangelien von historischen Ereignissen zu „ewigen Wahrheiten“ aufsteigen und historisch nicht mehr belegt und von den Gläubigen nicht mehr wörtlich angenommen werden müssen.

Die Debatte über diesen hegelianischen Kunstgriff auf dem sensiblen Gebiet der historischen Wahrheit der Heiligen Schriften führte seinerzeit zu einer umfangreichen Flut von Artikeln und Büchern.

Zunächst vom preußischen Kultusminister Altenstein geduldet, dem diese Schwächung der theologischen Positionen wohl bei seiner Absicht half, die Kirche aus den Schulen herauszuhalten, wurden die Junghegelianer nach dessen Tod 1840 aus den Universitäten und Beamtenstellen gedrängt.

Strauß selbst verlor schon 1835 seine Repetentenstelle am Tübinger Stift und wurde nach Ludwigsburg versetzt, wo er bald aus dem Dienst ausschied. Seine Berufung 1839 als Professor für Dogmatik und Kirchengeschichte an die Universität Zürich führte zu derartigem Widerstand, dass er sofort mit 1000 Franken Pension abgefunden wurde und die Regierung in Zürich darüber stürzte.

Die Junghegelianer zählten viele bis heute bekannte Personen zu ihrem Kreis und Umkreis, wie etwa die Brüder Bauer, Ruge, Herwegh, Hess, Köppen, Bakunin, Stirner, Marx, Engels und den später auf den Spuren von Strauß folgenden Feuerbach. Publiziert wurde in den von Arnold Ruge 1838 gegründeten Hallischen Jahrbüchern.

Einigen gerade genannten Personen werden wir immer wieder regelmäßig an politischen Brennpunkten begegnen; es ist jedoch hier nicht möglich, der Frage nachzugehen, wer außer Marx und seit wann und warum noch als Regierungsagent für welche Regierung tätig war oder etwa wie der Bruder Edgar des Bruno Bauer mit seinen „Konfidentenberichten“ aus London für die dänische Polizei erst weit später dazu kommen sollte (zur Ehrenrettung des Edgar sei darauf hingewiesen, dass Dänemark mit Preußen verfeindet gewesen ist und die Brüder Bauer unter den Maßnahmen der preußischen Regierung viel zu erleiden hatten, speziell Edgar mehrere Jahre Haft).

Der Vater des Ludwig Feuerbach hatte in Bayern 1806 die Folter abgeschafft und 1813 ein modernes Strafgesetzbuch eingeführt. Der zuerst Theologie und dann Philosophie studierende Ludwig konnte 1828 promovieren und habilitieren.
1830 erschien sein sofort verbotenes, religionskritisches Erstlingswerk „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ , in dem er den Glauben an die Unsterblichkeit als lebensfeindlich verwarf; er hatte es zwar anonym publiziert, wurde aber von der Polizei ermittelt und damit endete seine Hoffnung auf einen Ruf auf einen Lehrstuhl. Mit seiner Frau lebte er dann bei Ansbach auf dem Land von einer kleinen Porzellanmanufaktur, an der seine Frau beteiligt war. 1837 wurde Feuerbach von Arnold Ruge zur Mitarbeit an den Hallischen Jahrbüchern eingeladen.

Berühmt wurde Feuerbach mit seinem 1841 bei seinem Leipziger Verleger Otto Wigand erschienenen Buch über „Das Wesen des Christentums“, was ihm zahlreiche Angebote zur Mitarbeit an oppositionellen Zeitungen und Projekten brachte, die er klugerweise nicht angenommen hat. Marx und Engels wollten ihn auch in ihre Kreise ziehen und hatten schon die Federn gespitzt, den Feuerbach gleich den Bauers und vielen anderen in ihren nächsten Publikationen zu demontieren.

In seinem „Wesen des Christentums“ erklärte Feuerbach die religiösen Vorstellungen als Projektion menschlicher Verhältnisse und Interessen:

Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Nuremberg_L.A.Feuerbach_Sarcophagus_f_ne.jpg

Die Hegelei ist in seinem Werk noch unverkennbar, obwohl Feuerbach sich von Hegel später abgewandt hatte:

„In dem entwickelten Widerspruch zwischen Glaube und Liebe haben wir den praktischen, handgreiflichen Nötigungsgrund, über das Christentum, über das eigentümliche Wesen der Religion überhaupt uns zu erheben. Wir haben bewiesen, daß der Inhalt und Gegenstand der Religion ein durchaus menschlicher ist, bewiesen, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie, des göttlichen Wesens das menschliche Wesen ist. Aber die Religion hat nicht das Bewußtsein von der Menschlichkeit ihres Inhalts; sie setzt sich vielmehr dem Menschlichen entgegen, oder wenigstens, sie gesteht nicht ein, daß ihr Inhalt menschlicher ist. Der notwendige Wendepunkt der Geschichte ist daher dieses offne Bekenntnis und Eingeständnis, daß das Bewußtsein Gottes nichts andres ist als das Bewußtsein der Gattung, daß der Mensch sich nur über die Schranken seiner Individualität oder Persönlichkeit erheben kann und soll, aber nicht über die Gesetze, die Wesensbestimmungen seiner Gattung, daß der Mensch kein andres Wesen als absolutes, als göttliches Wesen denken, ahnden, vorstellen, fühlen, glauben, wollen, lieben und verehren kann als das menschliche Wesen.“
Quelle: http://home.rhein-zeitung.de/~ahipler/kritik/feuerb28.htm
 
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Bruno Bauer: das Schoßkind der preußischen Regierung wird ein Dissident


Bruno Bauer stammte aus einfachen Verhältnissen. Der Sohn eines Porzellanmalers sollte studieren und es zu etwas bringen.

„Der junge Mann tat sich zeitig hervor, — wie's in der Zeit lag, wurde er als Student — seit 1827 — ein rasender Hegelianer. Hegel und Marheineke hofften Großes von ihm; seine ersten Aufsätze in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ schafften ihm die Beachtung, bald das entschiedene Wohlwollen des Cultusministers von Altenstein zu. Als Theolog und Philosoph auf der Kanzel wie auf“ dem Katheder winkte ihm eine glänzende Zukunft. Er war ein kräftiger Redner und ein markiger Schriftsteller, durch mustergültige Diction allen sonstigen Hegelianern überlegen. Als Anhänger des absoluten Staates und der unionistischen Orthodoxie, die er beide — ganz nach der Hegel'schen Logik — als in Preußen allein berechtigt erklärte, war er der Mann, wie man ihn verlangte, ein Schoßkind der Regierung.“
Quelle: http://www.radikalkritik.de/nekrol.htm

Bauer wurde die Herausgabe einer Neuauflage von Hegels Religionsphilosophie übertragen, die gegenüber der ersten Auflage von Bruno Bauers Förderer Marheineke stark verändert wurde.

„Marheineke wurde 1811 an die Berliner Universität berufen und galt dort als Vertreter der spekulativen Theologie. Seine »Dogmatik« dokumentierte in beiden Auflagen (1819 und 1827) den Fortgang von Schelling zu Hegel. Er war der Ansicht, daß die von ihm vertretene Philosophie mit der Identität des christlichen Glaubens zu verbinden sei. Der Rektor der Universität in den Jahren 1817/18 und 1831/32 strebte Reformen innerhalb der Kirche an und forderte die Freiheit und Unabhängigkeit der akademischen Lehre. Seit 1819 predigte er an der Dreifaltigkeitskirche. Nach seinem Tod wurden in Berlin die Vorlesungen über christliche Dogmatik, Moral, Symbolik und Dogmengeschichte veröffentlicht.“
Quelle: http://www.gesetzlose-gesellschaft.de/m/marheineke.phtml

Im öffentlichen Streit um das „Leben Jesu“ von David Friedrich Strauß wird Bruno Bauer mit seiner Publikation gegen Strauß im Jahr 1835 zum Hoffnungsträger der von Strauß später als Rechtshegelianer bezeichneten Kreise und der preußischen Regierung.

„Bruno Bauer hielt über dieses Werk von seinem orthodox-scholastischen Standpunkt aus in den „Jahrbüchern“ ein furchtbares Gericht, aber die öffentliche Meinung hebt Strauß auf den Schild, der, trotzdem er die Hegelsche Schule nach obenhin in Misskredit setzt, die Bewunderung der halben Welt auf sich zieht und seine Gegner, soweit er sie nicht zu ignorieren vorzieht, siegreich widerlegt. Auch die bedeutendsten Hegelianer Berlins, wie Gans, Vatke, Benary, Michelet, in der Stille selbst der Minister von Altenstein fallen Strauß zu.

Der gerade 1834 habilitierte Bruno Bauer hatte damit sehr einflussreiche Förderer, sich andererseits mit seinem ersten Urteil in der Kontroverse um Strauß bei einigen geistig aufmüpfigen Zeitgenossen blamiert.

Bruno Bauer ertrug diese Blamage nicht, sondern änderte seine Meinung zu den Evangelien und suchte den David Friedrich Strauß jetzt noch radikaler zu übertrumpfen.

„Da wirft sich Bruno Bauer auf denselben Stoff, und, die Unhaltbarkeit der orthodoxen Überlieferung erkennend, sucht er in wuchtigen Werken Strauß zu überbieten. Nicht aus Mythen, sondern aus der freien schriftstellerischen Production der einzelnen Evangelisten, auf der des Marcus als des ältesten, dem die anderen mehr oder weniger folgen, läßt er die Evangelien entstehen. Seine Behauptungen, von eminentem Scharfsinn zeugend, erregten durch die unerhörte Dreistigkeit, mit der sie selbst dann vorgetragen wurden, wenn alle Beweise fehlten, und durch die gewaltsame Konstruktion des Stoffes, auf der sie beruhten, nicht nur ungeheures Aufsehen, sondern auch schwere Bedenken, ja selbst höchliche Entrüstung.“
Quelle: http://www.radikalkritik.de/nekrol.htm

Damit war die Karriere des Bruno Bauer eigentlich beendet, aber man konnte diesen kurz zuvor noch hofierten und sehr gefährlichen Kopf nicht einfach so gleich in Berlin auf die Straße werfen. Es würde sich also hinziehen, wie in vielen ähnlichen Fällen dieser Art: der Betreffende wartet auf seinen Lehrstuhl und wartet und wartet. Bruno Bauer wurde in dieser Zeit immer aktiver und produktiver und sammelte in Berlin junge Leute um sich und seine Ideen, man kennt das bei der Regierung, das machen sie noch alle, wenn sie in Ungnade gefallen sind und noch nicht richtig verstanden haben, dass es mit ihrer Karriere nichts mehr werden wird, wenn auch nicht alle so erfolgreich wie dieser Bruno Bauer.

Da Bauer über viele Kontakte aus der Zeit seiner berechtigten Hoffnungen auf eine glänzende Karriere verfügt und um so aktiver und politisch gefährlicher wird, je mehr er realisiert, dass er nichts mehr zu verlieren und zu erwarten hat, sollte die preußische Regierung auch und gerade in diesem Fall die üblichen Maßnahmen eingeleitet haben.

Letzteres heißt: eine zuverlässige Person wird in seiner Umgebung auftauchen und seine Freundschaft gewinnen und die schwere Zeit gemeinsam mit ihm durchstehen und – wie wir noch sehen werden - sich sogar bei der Versetzung des Bruno Bauer von der Universität in Berlin an die Uni Bonn an seine Fersen heften und an seinen letzten Vorlesungen an der Uni Bonn mit seinen letzten Anhängern und Freunden im Hörsaal sitzen, als ihm die Lehrerlaubnis schon entzogen ist und Bruno Bauer gegen die Weisung einige Stunden weiter macht.

„Vergebens suchte der Cultusminister von Altenstein den jungen Privatdocenten, dem er eine Professur zu verleihen im Begriff war, in den Schranken zu erhalten. Bald darauf starb Altenstein, sein Nachfolger Eichhorn war dem jungen Gelehrten gegenüber von ganz anderer Auffassung. … Trotzig bot dieser dem Ministerium, der ganzen Regierung, der gesamten Wissenschaft die Spitze. Er sammelte in Berlin einen großen Kreis von Anhängern, — Männlein und Weiblein — um sich, die bei Hippel in der Dorotheenstraße täglich oder wöchentlich ihre Sitzungen abhielten.“
Quelle: http://www.radikalkritik.de/nekrol.htm

Wir haben hier den „Doktorclub“ der „Linkshegelianer“ und als deren maßgebliche Figur den Bruno Bauer.
Jede Regierung wird auf jemanden wie Bruno Bauer in dieser Situation einen Agenten ansetzen, der zuerst dessen bester und intimster Freund wird und die Regierung auf dem Laufenden hält, später dann und über Jahre mit seinen Kontakten und Kenntnissen die Zielperson anzugreifen und von den noch übrigen Sympathisanten und Unterstützern zu isolieren hat.

Weil Regierungsagenten im Freundeskreis von namhaften und talentierten Oppositionellen immer auftauchen, muss dieser leidigen Angelegenheit die gehörige Aufmerksamkeit geschenkt werden; gerade weil das Problem allen Freigeistern und Revolutionären geläufig sein sollte, weil es sie nämlich nicht selten auch persönlich betrifft; nur wissen es viele halt nicht und laufen dann unbedacht in die Falle, wie seinerzeit Bruno Bauer dem Karl Marx.
 
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Der tiefe Fall des Bruno Bauer und der Aufstieg seines Freundes Karl Marx


Mit seiner Schrift „Herr Dr. Hengstenberg. Kritische Briefe über den Gegensatz des Gesetzes und des Evangeliums.“(Berlin 1839), gerichtet gegen den damaligen Dekan der Theologischen Fakultät der Berliner Universität Ernst Wilhelm Hengstenberg, hatte sich Bruno Bauer weiteren Verdruss zugezogen. Eine Professur in Berlin wurde damit aussichtslos. In seiner bei Deterding im Netz zugänglichen Bauer-Biografie meint Prof. Gustaaf Adolf van den Bergh van Eysinga dazu:

Im Herbst 1839 mußte Altenstein Bauer nach Bonn versetzen, um ihn in Sicherheit zu bringen. Vielleicht hat der Minister der noch Hegellosen dortigen Universität auch etwas vom Hegelschen Geist beibringen wollen. Die dortige theologische Fakultät war Schleiermacherianisch, vermittlungstheologisch. Sie begrüßte den neuen Privatdozenten mit lebhaftem Mißtrauen wie eine fremde Ente im Tümpel. Man wußte ja, daß Altenstein große Stücke auf ihn hielt. Bauer hatte von Marheineke schon erfahren, die Fakultät in Bonn wäre eine der störrigsten.
Quelle: http://www.radikalkritik.de/BiogrBBauer.pdf

Aber es ging wohl eher darum, Bruno Bauer endlich aus Berlin zu entfernen und von seinem dortigen Freundeskreis zu trennen, um seiner Karriere dann im fernen Bonn nach einer kurzen, letzten Zeit als Dozent den längst beschlossenen Schlussstrich anzufügen. Denn dass aus seiner Professur nichts mehr werden würde, war sicher schon den meisten klar, die mit den Gepflogenheiten der Zeit vertraut waren. Nur Bruno Bauers bester Freund Karl Marx soll nach dessen Biographen noch auf die Berufung von Bruno Bauer in Bonn vertraut haben und wollte dann sich selbst bei diesem an seinem Lehrstuhl habilitieren, wie man halt so die auffällige Anhänglichkeit des Karl Marx an diesen von seinem Schicksal schon gezeichneten Bruno Bauer heute den Kinderchen erklärt.

In Bonn lehrte auch der Schwager des späteren preußischen Kultusministers Eichhorn, der schon ganz grundsätzlich mit Hegel nichts anfangen konnte, was ja verständlich ist, aber ganz verhängnisvoll für die von Bauer auf Hegel gestützten theologischen Standpunkte.

Sack war aber wohl der schlimmste. Gelegentlich brach er „mit Elias-Eifer“ über Bauer her und sagte mit rotglühendem Gesicht: es sei ihm ein Bedürfnis seinen ganzen Abscheu von der gottlosen Hegelschen Philosophie auszusprechen.
Eysinga,a.a.O. S.331

Zunächst hielt sich Bruno Bauer zurück und hoffte wohl noch auf seine Habilitation in Bonn.

Man hatte in Bonn erwartet, Bauer würde draufgängerisch auftreten. Auf Augusti machte er aber sogleich den Eindruck von Einfachheit und Unbefangenheit. Nitzsch, der ihn sich auch ganz anders gedacht hatte als er jetzt herauskam, fragte, ob er auch predigen würde; auf seine verneinende Antwort zählte er ihm die Formalitäten auf, die zu seiner Habilitation zu erfüllen waren. Er sah seine Lage als im höchsten Grade prekär und versuchte die Schwierigkeiten durch Arbeiten zu vergessen. Am Markt, Nr 171, hatte er beim Kaufmann Eschbaum eine hübsche Wohnung mit einer weiten Aussicht gefunden. Sogleich am Morgen nach seinem Einzüge nahm er die Bearbeitung der Hegeischen Papiere, d.h. der geplanten zweiten Ausgabe der Religionsphilosophie, die Marheineke ihm anvertraut hatte, wieder auf.
Eysinga ebenda.

Bruno Bauer hatte immer noch Beziehungen in seine alten Kreise in Berlin und bekam nach Eysinga über seinen Bruder Edgar Ratschläge von Marheineke und auch weitere Unterstützung.

Durch Empfehlung Marheineke's wurden ihm vom Minister hundert Thaler bewilligt. „Jetzt“,schreibt er an seinen Freund Marx, „unterhält man sich in der Stadt nur noch darüber: wieviel ich vom Ministerium Gehalt bekäme, ob 600 Mark oder mehr? 600 Mark, ist die allgemeine Übereinkunft der Leute, müsse das Wenigste sein! Die Schafköpfe!“
Eysinga ebenda.

Wie sehr war ein Bruno Bauer auf einen freigiebigen „Freund Marx“ angewiesen, der als Student schon einmal siebenmal hundert Taler im Jahr aufzuwenden verstand.

Da werden schon in der Korrespondenz alle Regeln der Vorsicht missachtet, wie viel mehr noch im persönlichen Gespräch. Bauer war es sicher nicht klar, dass er als Dissident längst unter Beobachtung und unter Beeinflussung stand, noch weniger aber, was man in Berlin wieder mit scheinbar harmlosen, privaten Informationen zu seinem Schaden anrichten konnte.

Sein Bruder Edgar hatte zu der Zeit schon seinen Entschluss gefasst, von der Theologie zur Geschichte zu wechseln. Er war wie Marx noch in Berlin.

Als Abiturient des Berliner Friedrich Wilhelm Gymnasiums fängt er im Jahre 1838 das theologische Studium in Berlin an. Mit Stundengeben sorgte er für seine Lebensbedürfnisse. Das Kneipenleben seiner Kommilitonen war ihm unerschwinglich; so arbeitete er still für sich, besorgte nebenbei auch die Korrektur des Daub und Hegel. Die Theologie wurde ihm aber alsbald eine Enttäuschung. Bereits am 29. Dezember 1839 schreibt er an Bruno in Bonn über seine Erfahrungen mit Marheineke: „Für mich selber war es gut, daß ich einmal eine ächt theologische Vorlesung hörte. Es hat in mir den Entschluß zu wege gebracht, die Theologie aufzugeben und zur Geschichte überzugehen. Hier ist noch viel zu thun“
Eysinga, S. 333

Edgar Bauer bleibt die nächsten Jahre an der Seite seines Bruders und publiziert dabei vieles, was verboten wird und ihm sogar drei Jahre Festungshaft ab 1846 in Magdeburg einbringt, wo er sich mit geschichtlichen Arbeiten beschäftigen durfte.

Während der Untersuchung beim Polizeipräsidium … erklärt Edgar, dreiundhalb Jahr Theologie studiert, sich zum Examen aber bis dahin nicht gemeldet zu haben. Er habe sich nach seiner Exmatrikulation literarisch beschäftigt und seit Februar 1842 Abhandlungen geschrieben für Blätter, u.A. die deutschen Jahrbücher und die Rheinische Zeitung, und daneben selbständige Broschüren. Unter den letzteren nennt er seine im Oktober 1842 erschienene Schrift: Bruno Bauer und seine Gegner, die polizeilich verboten wurde, wie mit mancher seiner Veröffentlichungen der Fall gewesen. Er sei nicht verheiratet und besitze kein eigenes Vermögen.
Eysinga, S. 333

Bruno Bauer hat in Bonn noch seine Arbeit an der zweiten Auflage der von Marheineke herausgegebenen Hegelschen Religionsphilosophie beendet.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Religion nebst einer Schrift über die Beweise vom Daseyn Gottes. Herausgegeben von D. Philipp Marheineke. 2 Theile. Zweite verbesserte Auflage. Berlin, Verlag von Duncker und Humblot, 1840 (11. und 12. Band der Werke).

Das Mitwirken von Bauer wurde im Vorwort von Marheineke gewürdigt:

Marheineke hatte die erste Ausgabe besorgt; die zweite, verbesserte, steht zwar auch auf seinen Namen; im Vorwort teilt er aber selbst mit, daß er wegen mancherlei Geschäfte nicht vermocht hatte diese Arbeit zu verrichten ohne die „rühmliche Theilnahme und Unterstützung eines jüngeren Freundes, des Herrn Lic. Bauer zu Bonn ..., auf dessen treffliche, durch eigene Werke längst bewährte Einsicht und Gelehrsamkeit, speculatives Talent und feinen Tact“er bei dieser Arbeit vorzüglich rechnen durfte.
Eysinga, S. 339

Zusätzlich die Vorlesungen:

Im Wintersemester 1839-40 liest er nur „per accidens“, d.h. wohl „gelegentlich“, hat aber sehr aufmerksame Zuhörer; über sein Verhältnis zu den Studenten kann er noch nicht urteilen, das Sommersemester muß entscheiden. In diesem Sommersemester liest er dann Erklärung des Jesaias (Sack hat dasselbe Thema), Erklärung der Komposition und Geschichtserzählung des Johannesschen Evangeliums, Mosaisches Recht und die Verfassung der Theokratie und das Leben Jesu. Im Wintersemester 1840 behandelt er Genesis, das Leben Jesu, Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu und Geschichte der neueren Dogmatik.
Eysinga, ebenda.
 
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Warum ich ausgerechnet den Eysinga zu Bauer so ausführlich zitiere? Es soll eine Empfehlung sein, den auch ganz zu lesen, damit man eine Vorstellung erhält, dass es bei Bruno Bauer um Fragen der Theologie ging und es völlig unerfindlich ist, was einen Marx mit der Thematik und der Person des Bruno Bauer verbunden haben sollte, wenn er nicht im Auftrag der Regierung dafür engagiert wurde. Die Seiten 342-349 mit ihren theologischen Inhalten seien jedem empfohlen, der das Interesse des Karl Marx an Bruno Bauer noch für ehrlich und ernstgemeint erklären möchte.

Bruno Bauer veröffentlicht anonym:

Im September 1840 erscheint anonym Bauers Schrift: Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft; eine zweite Auflage folgte auf Namen im nächsten Jahre. Hier setzt er auseinander, daß die Kirche, indem sie durch die Union zwischen Lutheranern und Reformierten (seit 1817) wichtige Lehrdifferenzen für unerheblich erklärt hatte, das Recht verloren hat, der Kritik entgegenzutreten.
Eysinga, S.349

Aber eben genau für den zu erwartenden Ärger mit solchen Aktivitäten pflegt man im Freundeskreis der Betreffenden rechtzeitig einen königlich-preußischen Polizei- und Regierungsagenten zu platzieren und weil die Betreffenden langsam aber sicher von allen wirklichen Freunden verlassen und gemieden werden, wird der ausgesuchte Spitzel leicht zum besten Freund in den schwersten Tagen, der noch bis ganz zuletzt die Hoffnung nicht aufgibt und den letzten Rückhalt bietet, vermeintlich...

Stufenartig, aber in schnellem Tempo geht's von jetzt an weiter mit Bauers immer radikaler werdenden Evangelienkritik. In August 1840 ist er schon mit den Vorarbeiten zu einer Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker beschäftigt. Den 10. März des nächsten Jahres schreibt er an Edgar, das Manuskript des ersten Teiles sei an Wigand abgeschickt worden. Mitte Juli wird dieser dann erschienen sein; am Ende desselben Monats ist er mit dem zweiten Band fertig. Eine Insertion in den Deutschen Jahrbüchern weist aus, daß der Verleger die zwei Bände zusammen anzeigt als „soeben erschienen“. Der dritte Band wird dann erst Ende Oktober 1842 erscheinen.
Eysinga, S. 355

Die Arbeitsleistung des Bruno Bauer war enorm, aber sie brachte die Geduld der preußischen Regierung schnell zum absehbaren Ende.

Neben diesen gewaltigen schriftstellerischen Leistungen las der Privatdozent im Sommer 1841 noch Synoptische Erklärung der drei ersten Evangelien; Charakteristik und Geschichte der apokryphen Evangelien; Geschichte der Wissenschaft und kirchliche Theologie des Mittelalters. Im Winter desselben Jahres: Jesaia, die Leidensgeschichte Jesu nach den vier Evangelien. In April 1842 wird bekannt gegeben: „Lic. Bauer wird seine Vorlesungen später anzeigen“. So weit ist es nicht mehr gekommen.
Minister Altenstein hatte auf dem Sterbelager der Reaktion keinen Widerstand mehr leisten können.

Eysinga, S. 362

Der Minister Altenstein hatte zu den frühen Förderern des Bruno Bauer gehört und hätte ihm vielleicht noch irgendeinen anderen Posten als einen Lehrstuhl für die Theologie verschafft. Man muß so einen Mann ja nicht gleich in die Gosse stoßen, wie es dann geschehen ist. Aber ob Bruno Bauer darauf eingegangen wäre?

Nach dem Erscheinen seiner Landeskirche und seines Johannesbuchs hatte Bauers Lage in Bonn sich selbstverständlich ungeheuer verschlimmert. Das Ministerium machte ihm den Vorschlag, er solle sich zunächst privatim mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigen, wozu ihm eine Jahresunterstützung angewiesen werden sollte. Er ging hierauf aber nicht ein und um der Sache der akademischen Freiheit zu dienen begab er sich wieder nach Bonn. Beim Ministerium ließ er den Antrag machen, es möge die Bonner Fakultät zur Abgabe eines Gutachtens auffordern, ob seine Schriften wie seine Richtung etwas enthielten was ihn notwendig von einer näheren Verbindung mit der Fakultät ausschließen müße. Von dieser war für ihn nichts Gutes zu erwarten.
Eysinga, S. 363

Bei Mehring finden wir die Entscheidung so dargestellt:

Nach Altensteins Tode im Mai 1840 verwaltete der Ministerialdirektor Ladenberg einige Monate das Kultusministerium, und er besaß Pietät genug für das Andenken seines alten Vorgesetzten, um dessen Versprechen einzulösen und Bauers »Fixierung« in Bonn zu versuchen. Aber sobald Eichhorn zum Kultusminister ernannt worden war, lehnte die theologische Fakultät in Bonn die Ernennung Bauers zum Professor ab, angeblich, weil er ihre Einigkeit stören würde, tatsächlich mit jenem Heldenmut, den der deutsche Professor stets bewährt, wenn er der heimlichen Zustimmung seiner hohen Oberen sicher sein darf.

Bauer erhielt die Entscheidung, als er eben aus den Herbstferien, die er in Berlin verlebt hatte, nach Bonn zurückkehren wollte. Im Kreise seiner Freunde wurde nun überlegt, ob nicht schon ein unheilbarer Bruch zwischen der religiösen und der wissenschaftlichen Richtung bestehe, ob ein Anhänger dieser Richtung es noch mit seinem Gewissen vereinbaren könne, der theologischen Fakultät anzugehören. Aber Bauer selbst beharrte bei seiner optimistischen Auffassung des preußischen Staatswesens und lehnte auch den offiziösen Vorschlag ab, sich mit schriftstellerischen Arbeiten zu beschäftigen, wobei er aus staatlichen Mitteln unterstützt werden sollte. Er kehrte voll Kampfeslust nach Bonn zurück, wo er gemeinsam mit Marx, der ihm bald nachfolgen sollte, die Krisis in ihren wichtigsten Momenten herbeizuführen hoffte.
Quelle: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_5

Man möchte dem Bruno Bauer hier nachträglich einen wirklichen klugen Freund wünschen, der ihn dazu gebracht hätte, auf diesen Vorschlag des Ministeriums einzugehen und in Zukunft vom Schreiben zu leben, was zwar ohne heimliche Förderer nicht geht, aber die hätte er wohl gefunden. Karl Marx war sicher nicht der Freund, von dem ein Bruno Bauer einen klugen Rat zu erwarten hatte. Trotzig schickt Bauer dem neuen Minister den ersten Band seiner Synoptikerkritik.

Wenige Wochen nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Kritik der Synoptiker erhielt die Bonner Evangelisch-Theologische Fakultät von Eichhorn den Befehl, sich über dieses Buch, die sich darin kundgebenden Stellung des Verfassers zum Christentum und seine Qualifikation zum öffentlichen Lehrer für die evangelische Theologie zu äußern. Die Verfügung ist datiert den 20. August 1841.
Eysinga, S. 364

Bruno Bauer landet einen neuen anonymen Streich:

…haben wir noch eine Ende Oktober oder Anfang November 1841 erschienene Schrift zu erwähnen, nämlich Die Posaune des jüngsten Gerichtes über Hegel den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum378. In dieser anonymen Schrift suchte er, unter der Maske eines strenggläubigen Pietisten zu zeigen, daß Hegel konsequenterweise zum Atheismus führe. Der Titel des Buches ist vom Propheten Joel entlehnt: „Stoßt in die Posaune auf dem Zion und schlagt Lärm auf meinem heiligen Berge, es erzittern alle Bewohner des Landes. Denn es kommt der Tag Jahwes, ja er steht nahe bevor“. Mit feiner Ironie, mit gelungener priestlichen Salbung sucht er die Althegelianer zum Bekenntnis zu zwingen, entweder daß sie getäuscht worden seien, oder daß sie getäuscht hätten. Denn Hegel stimmt ja, wie er mit einer Unmenge von Zitaten nachweist, mit den Atheisten des 18. Jahrhunderts überein und Bruno Bauer erscheint als der unverfälschte Hegelianer. Hegels Lehre und Tendenz ist mit den Lehren und Tendenzen der Junghegelianer Eins und die von Althegelianischer Seite geäusserte Behauptung wesentlicher Differenz Nichts als Lug und Trug. Ganz in der Bibelsprache verfaßt regt es die christlichen Regierungen an, den Hegelianismus als religions- und staatsgefährlich auszurotten. Hegels Gegner haben bis jetzt dessen Atheismus nicht erkannt, während die neuesten Hegelianer sie irreführen durch die kecke Behauptung, daß ihr ungläubiges Prinzip von demjenigen des Meisters verschieden ist.
Eysinga, S, 374

Es gibt Spekulationen, dass Karl Marx an diesem Buch von Bauer mitgewirkt habe, die allerdings nicht sehr begründet scheinen. Marx scheint Zusagen zur Mitarbeit vor allem an dem geplanten zweiten Band gemacht zu haben.

Die Vermutung Rjazanovs, Marx sei bei der Verfassung dieses Buches beteiligt gewesen, kommt mir höchst unwahrscheinlich vor; obwohl bei der Erscheinung bereits G. Jung Gewährsmann dieser Ansicht gewesen ist. In der Vorrede zu der Fortsetzung der Posaune heißt es: „Wir dieß wir ist aber wörtlich zu verstehen - ... haben uns in die Arbeit getheilt, so daß jeder einen der beiden Abschnitte aus denen unser Werk besteht, ausarbeitete... Wir haben uns nicht genannt, damit das Werk desto reiner für sich spreche“. Es wird nicht klar, welche Abschnitte gemeint sind. Die Bemerkung gehört wohl zu dem ursprünglich umfangreicher geplanten Buch, woran Marx seine Mitarbeit versprochen, schließlich aber nicht verliehen hat. Bauer selbst schreibt an Ruge, daß die Fortsetzung der Posaune seine eigene Arbeit ist, aber in demselben Brief sagt er, daß Marx immer noch an der Posaune arbeitet. Damit ist der zweite Teil gemeint, der bei der Erscheinung einen anderen Titel bekommen hat, denn die Posaune selbst war damals nicht nur erschienen, sondern auch schon konfisziert. Bauer nimmt sich vor unter dem Titel des zweiten Teils die Buchstaben b.m. als Autorname drucken zu lassen, was offenbar Bauer-Marx bedeuten soll, aber auf dem erschienenen Buch fehlen diese Buchstaben. Am 26. Januar 1842 bittet Bauer Marx das Manuskript nach Wigand zu schicken; dieser ist dann schwer krank, hofft aber bald fertig zu sein. Am 5. März schreibt Marx an Ruge: „Bei der plötzlichen Wiedergeburt der sächsischen Zensur wird wohl von vornherein der Druck meiner „Abhandlung über christliche Kunst „, die als zweiter Teil der Posaune erscheinen sollte, ganz unmöglich sein. Wie wäre es, wenn sie in einer modifizierten Redaktion den Anekdotis inseriert würde „. Noch einmal kommt Marx auf diese Arbeit zurück, wenn er an Ruge am 9. Juli schreibt, daß er durch unangenehme Äusserlichkeiten von der Einsendung seiner Beiträge für die Anekdota verhindert worden ist, aber nichts mehr anrühren wird, bis er sie beendigt hat.

Die Arbeit von Marx scheint nie erschienen zu sein. Bauer war wirklich Manns genug die Posaune und ihre Fortsetzung selbständig zu produzieren und Marx wohl nicht so theologisch bibelfest wie er, daß er über eine so große Menge gewählter Bibelworte zu verfügen hatte. Hätte Marx auch nur das mindeste Autorenrecht auf diese Schriften gehabt, wie könnte es dann passieren, daß nach Aufhebung der Anonymität die Bücher ohne weiteres dem Bauer allein zugeschrieben wurden?
In der von Marx gelobten Verteidigungsschrift Bauers, wovon noch die Rede sein wird, spricht dieser wiederholt über die Posaune als über seine eigene Arbeit. Würde Marx damals und a fortiori später, als die Freundschaftsbande zwischen den beiden Großen sich gelockert hatten und Marx Bauer in seiner Spottschrift Die heilige Familie bekämpfte, nie den Vorwurf gemacht haben, Bauer hätte sich die Autorschaft der Posaune und derselben Fortsetzung wiederrechtlich zugeschrieben?

Eysinga, S. 376

Wenn er noch etwas weiter geschlossen hätte, wäre Eysinga unweigerlich dahinter gekommen, dass dieser Marx mit seinen mangelnden theologischen Kenntnissen und Interessen doch ein ganz auffälliger Fremdkörper im Umkreis des Bruno Bauer ist, dessen Talente höchstens dafür reichten, den anonymen Autor und seine Verleger und Mitstreiter zu verraten und ihnen Fallen zu stellen.

Mit dem Entzug der Lehrerlaubnis waren schließlich alle evangelischen theologischen Fakultäten als Gutachter befasst.

Das Interimministerium vor Eichhorn hatte Bauer zur Beförderung vorgeschlagen, um Altensteins Vermächtnis auszuführen. Eichhorn wünschte ihn nicht anzustellen, weil Bauers kritische Richtung Bedenken erregte. Die Fakultät bat um Aufschub bis zum Anfang des folgenden Semesters. Nachher verzögerte sich die Einsendung des erwünschten Gutachtens durch die Erscheinung des zweiten Bandes der Bauerschen Schrift, welchen die Fakultät glaubte mit berücksichtigen zu müssen. Inzwischen war die gleiche Aufforderung von Seiten des Ministers auch an die übrigen preußischen Evangelischtheologischen Fakultäten ergangen. Die Allgemeine Preußische Staatszeitung vom 7. April 1842 machte schließlich das Resultat dieser Enquete bekannt. Die dem Licentiaten Bauer verliehene licentia docendi war zurückgenommen, weil sein „Prinzip, Anschauungsweise und ganze Richtung mit dem Christenthume, mit dem Wesentlichen des christlichen Glaubens und dem Eigenthümlichen der christlichen Gesinnung im innersten Grunde einen entschiedenen Gegensatz bilde“.
Eysinga, S. 365

Marheineke hatte sich noch in seinem abweichenden Minderheitsvotum für Bruno Bauer eingesetzt:

Der Dekan der Fakultät, Marheineke war mit diesem Urteil nicht einverstanden und gab deshalb seine abweichende Meinung in einem Separatvotum bekannt. Nach, seiner Ansicht war die Anklage des Bauer ohne Zweifel von Nichttheologen ausgegangen und er freute sich darüber, daß die Regierung diese Angelegenheit auf den Boden der Wissenschaft versetzt hat. Mit Bauers kritischen Unternehmungen ist er nicht einig oder auch nur zufrieden, hofft aber es werde ihm an gediegener, gründlicher Widerlegung seiner zum Teil aus der Luft gegriffenen Hypothesen nicht fehlen; überdies mißfällt ihm der spöttische, höhnische Ton gegen berühmte Theologen, die Bauer angestimmt hat. Niemals hat er aber Ursache gefunden Bauers Sinn für die Wahrheit, seine Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit zu bezweifeln. Auch rechtgläubige Theologen wie Bengel, Knapp u.A. haben Kritik geübt, und Griesbach, Eichhorn, Lachmann und Schleiermacher haben sich in ihren kritischen Operationen durch dogmatische Rücksichten nicht aufhalten oder hemmen lassen. Die Behauptung, daß die erste Christengemeinde nicht ohne allen Anteil an der Entstehung ihrer Evangelien gewesen sei, enthält nach Marheineke nichts Unchristliches.
Eysinga, S. 366

Am 29. März 1842 wurde Bruno Bauer abgesetzt, las aber noch einige Stunden weiter.

Noch zur Zeit seiner Suspension liest er, weil ihm nichts Offizielles gemeldet ist, und hat ein ziemlich großes Auditorium, das gespannt seinem Vortrage zuhört. Als einmal einige Burschen zu murren wagten, ließ er sich nicht stören im ruhigen Fortgang der Entwicklung; schließlich erschüttert er Alle, daß sie wie gefangen dasitzen. Auch M. (das heißt wohl Marx) ist Zeuge; er hat mit Hess aus Köln hospitiert, wie Adolf (Rutenberg).
Eysinga, S. 380

Moses Hess und Adolf Rutenberg sind aus der Redaktion der Rheinischen Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe, die am 1. Januar 1842 in Köln erschienen ist und an der Karl Marx mit seinem ersten Artikel am 5. Mai mitgearbeitet hat und bald am 15. Oktober dieses Jahres 1842 die Redaktionsleitung bekam. Dies alles allerdings anonym und mit einem stattlichen Jahresgehalt von 600 Talern. Marx hat seine Artikel nicht mit seinem Namen gezeichnet und wurde auch als "eigentlicher Redakteur" im Impressum nicht genannt.

Nicht um Marx vor der Regierung zu verbergen, die für solche Geheimnisse einer Zeitungsredaktion allemal genug Polizeispitzel hatte: es würden sich wohl andere Leute so ihre Gedanken gemacht haben über die erstaunliche Karriere eines Mannes, dessen einzige intellektuelle Leistung bis dahin seine aufwändige Freundschaft mit dem gerade 1842 von der preußischen Regierung erledigten Bruno Bauer gewesen war.

Hier wird verständlich, was Fritz J. Raddatz in seinem "Karl Marx - Der Mensch und seine Lehre" (Rowohlt, 1987, Seite 47) zitiert:

Karl Heinzen, der später in die USA emigrierte, erinnert sich der gemeinsamen Zeit an der "Rheinischen Zeitung" weniger schonungsvoll. Er berichtet von den allabendlichen Kneiptouren mit seinem Chef, der zwar verblüffend scharfsinnig, aber auch extrem egoistisch, lügnerisch und intrigant gewesen sei, mehr noch als vom eigenen Ehrgeiz aufgefressen vom Neid auf fremde Leistungen...

Man habe abends oft noch beim Wein gesessen, der Chefredakteur und seine Kollegen, und wenn die Reihe der geleerten Flaschen beachtlich lang geworden war, habe Marx mit vor königlichem Vergnügen boshaft funkelnden Augen die Runde abgeschätzt. Jäh fuhr dann ein Finger auf einen der schockierten Freunde: "Dich werde ich vernichten."
Fritz J. Raddatz, Karl Marx, Seite 47

Es dürfte nicht nur Angeberei gewesen sein.
 
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Bruno Bauer und andere durften in der Rheinischen Zeitung publizieren, bis Marx persönlich die Chefredaktion übernahm und Bruno Bauer in seiner Zeitung auf persönlicher Ebene angreifen ließ: Bruno Bauer war gleich 1842 wieder in Berlin und hatte dort einen sehr regen Freundeskreis um sich geschart. Diesem Freundeskreis wurden nun von Marx "Skandale in Bordellen und Prügeleien in Kneipen" zum Vorwurf gemacht. (Raddatz a.a.O. S. 44/45)

Noch 1842 kehrte Bauer nach Berlin zurück. »Hier spricht alles von der jüngeren Rotte«, schrieb er am 5. Juni an Marx, »von Atheismus, Aufhebung der Religion und anderer schöner Dinge, sey es pro, sey es mit den Bedenken des Philisters oder mit der klugen Bemerkung man solle langsamer, vorsichtiger vorschreiten.« Bauer schloß sich den in der Stadt verbliebenen Junghegelianern an, die als »die Freien« einen Klub bildeten, der sowohl durch seine Ansichten als auch durch das öffentliche Auftreten seiner Mitglieder ständig für Aufsehen sorgte. Manches Treiben in den Stammlokalen in der Poststraße (heute Münzstraße) und am Gendarmenmarkt, aber auch die eine oder andere anarchische Aktion erinnert an heutige Verhaltensweisen autonomer Gruppen.

Bauer und einige andere schrieben zu dieser Zeit noch Beiträge für die »Rheinische Zeitung«, deren Redaktion Karl Marx im Oktober 1842 übernommen hatte. Doch schon bald kam es zu Unstimmigkeiten. Marx veröffentlichte in der »Rheinischen Zeitung« einen Brief von Georg Herwegh (1817–1875), in dem dieser über die »Freien« schrieb: »Wenn ich die Gesellschaft der Freien, die einzeln meistens treffliche Leute sind, nicht besucht habe, so geschah es nicht, weil ich etwa eine andere Sache verfechte, sondern es geschah lediglich darum, weil ich diese Frivolität, diese Berlinerei in der Art ihres Auftretens, weil ich diese platte Nachäfferei der französischen Clubbs ...
hasse und lächerlich finde.« (MEGA III/1, Berlin 1975, S. 379) Auch Arnold Ruge hatte in einem Brief vom 4. Dezember 1842 an Marx einen solchen Eindruck vermittelt: »Trinken, Schreien, ja, ich sage es, selbst Prügeleien könnte man Leuten hingehen lassen, die das alles trieben abgesehen von einem ernsten Inhalt und ohne ihn zu besudeln. Ich werde Bauers Wesen nie in einem solchen Exzess suchen: aber diese Exzesse mit den Dogmen und Sprichwörtern der Philosophie und Freiheit auszufüllen oder vielmehr die Freiheit zu einer Dogmatik dieses Treibens zu machen – nun, das geht nicht und wer darauf besteht, es zu tun, ruiniert sich.«

Bauer verteidigte die »Freien« in einem letzten Brief an Marx vom 13. Dezember 1842 gegen den Vorwurf der Clique und stellte kategorisch fest: »Lieber Marx, das Recht Berlins ist so groß, die Berliner haben so wenig durch falsche Schritte die Uebereilungen Anderer hervorgerufen, daß ich über diese Sache gar nicht weiter sprechen mag, da ich zu viel Unangenehmes, woran hier Niemand schuldig ist, berühren müßte.« (ebenda, S. 386)


Quelle: http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt97/9704deua.htm

So endete die "Freundschaft" zwischen Marx und Bruno Bauer, indem Karl Marx die Rheinische Zeitung zu einer Waffe gegen die Freunde des Bruno Bauer in Berlin gemacht hat. Wie weit Ruge und Herwegh dabei gegen ihre Absicht benutzt wurden, sei dahingestellt. Gerade Ruge hat sich später darüber beschwert, dass Marx wieder einmal „die Bauern bekriegen“ wolle, statt sinnvolle politische Arbeit zu leisten.

Bruno Bauer verlor damit die bisherige Unterstützung aus dem Umfeld der Leser und Mitarbeiter dieser Rheinischen Zeitung und wurde gerade unter anderen Dissidenten mit Hilfe der Rheinischen Zeitung in Verruf gebracht.

Da hat Karl Marx die Rheinische Zeitung und weiß nichts Besseres zu tun, als Artikel gegen seinen ehemaligen Freund Bruno Bauer zu richten? Wegen Cliquenbildung und Exzessen? War das nicht eigentlich eine Spezialität des Karl Marx?
Es bliebe unerklärlich, wenn es nicht die eine Erklärung dafür gäbe.

An dieser Stelle möchte ich schon einmal den im April 1882 von Engels verfassten Nachruf auf Bruno Bauer zur Lektüre empfehlen.

Friedrich Engels - Bruno Bauer und das Urchristentum

Auch im Vorgriff auf die folgenden Attacken der beiden Kumpane Marx und Engels gegen Bruno Bauer und seine Anhänger, die sich über Jahre fortsetzen sollten.

Zu Engels vielleicht hier noch aus einem Artikel vom Juni 1842:

Man braucht aber nicht eben bewandert im Hegel zu sein, um zu wissen, daß er einen weit höhern Standpunkt in Anspruch nimmt, den der Versöhnung des Subjekts mit den objektiven Gewalten, daß er einen ungeheuren Respekt vor der Objektivität hatte, die Wirklichkeit, das Bestehende weit höher stellte, als die subjektive Vernunft des einzelnen, und gerade von diesem verlangte, die objektive Wirklichkeit als vernünftig anzuerkennen. Hegel ist nicht der Prophet der subjektiven Autonomie, wie Herr Jung meint und wie sie als Willkür im jungen Deutschland zutage kommt, Hegels Prinzip ist auch Heteronomie, Unterwerfung des Subjekts unter die allgemeine Vernunft. Zuweilen sogar, z.B. in der Religionsphilosophie, unter die allgemeine Unvernunft. Das, was Hegel am meisten verachtete, war der Verstand, und was ist dieser andres, als die in ihrer Subjektivität und Vereinzelung fixierte Vernunft?

Quelle: http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_433.htm

Jeder frage sich selbst, ob das die Gedanken eines Revolutionärs sein können, oder ob ein Hegelianer dieser Schule nicht die objektive Wirklichkeit, das Bestehende, den preußischen Staat als vernünftig anzuerkennen hat.

Engels war ein begnadeter Autor und stets klar und logisch und damit verständlich. Der konnte selbst den Hegel noch einem breiten Publikum darlegen.

Der Karl Marx dieser Zeit liest sich so:

Karl Marx: Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion
 
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Chefredakteur der Rheinischen Zeitung


Politisch wird die Rheinische Zeitung von Franz Mehring richtig zugeordnet:

Die »Rheinische Zeitung« erschien seit dem 1. Januar 1842 in Köln. In ihrem Ursprunge war sie kein Oppositions-, eher ein Regierungsblatt. Seit den Kölner Bischofswirren der dreißiger Jahre vertrat die »Kölnische Zeitung« mit achttausend Abonnenten die Ansprüche der ultramontanen Partei, die am Rhein übermächtig war und der Gendarmenpolitik der Regierung viel zu schaffen machte. Es geschah nicht aus heiliger Begeisterung für die katholische Sache, sondern aus geschäftlicher Rücksicht auf die Leser, die nun einmal von den Segnungen der Berliner Vorsehung nichts wissen wollten. Das Monopol der »Kölnischen Zeitung« war so stark, daß es ihrem Besitzer regelmäßig gelang, alle auftauchenden Konkurrenzblätter durch Ankauf zu beseitigen, auch wenn sie von Berlin her gefördert wurden. Dasselbe Schicksal drohte der »Rheinischen Allgemeinen Zeitung«, die im Dezember 1839 von den Zensurministern die damals notwendige Konzession erhalten hatte, eben um die Alleinherrschaft der Kölnischen Zeitung« zu brechen. Jedoch im letzten Augenblick tat sich eine Gesellschaft wohlhabender Bürger zusammen, um ein Kapital auf Aktien zur gründlichen Umgestaltung des Blattes aufzubringen. Die Regierung begünstigte das Vorhaben und ließ provisorisch für die nunmehrige »Rheinische Zeitung« die Konzession gelten, die sie ihrer Vorläuferin erteilt hatte.“

Mehring: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_5

Sehen wir uns die Gründer und Geldgeber der Rheinischen Zeitung einmal näher an. Die folgenden Ausführungen des Franz Mehring zu diesem Thema lesen sich etwas kryptisch – was will er dem Leser nun genau damit sagen?

In der Tat war die Kölner Bourgeoisie weit davon entfernt, der preußischen Herrschaft, die in den Massen der rheinischen Bevölkerung immer noch als Fremdherrschaft betrachtet wurde, irgendwelche Unbequemlichkeiten zu bereiten. Da die Geschäfte gut gingen, hatte sie ihre französischen Sympathien aufgegeben, und nach Gründung des Zollvereins verlangte sie geradezu die preußische Vorherrschaft über Deutschland. Ihre politischen Ansprüche waren äußerst gemäßigt und standen hinter ihren wirtschaftlichen Forderungen zurück, die auf eine Erleichterung der am Rhein schon hoch entwickelten, kapitalistischen Produktionsweise abzielten: sparsame Verwaltung der Staatsfinanzen, Ausbau des Eisenbahnnetzes, Ermäßigung der Gerichtssporteln und Postgebühren, eine gemeinsame Flagge und gemeinsame Konsuln für den Zollverein und was sonst auf solchen Wunschzetteln der Bourgeoisie zu stehen pflegt.

Die propreußische Minderheit der Kölner Bourgeoisie stand also hinter der Rheinischen Zeitung und wollte mit der und unterstützt von der preußischen Regierung ein Gegengewicht zur Kölnischen Zeitung schaffen.

Es zeigte sich nun aber, daß zwei ihrer jungen Leute, denen sie die Einrichtung der Redaktion überlassen hatte, der Referendar Georg Jung und der Assessor Dagobert Oppenheim, begeisterte Junghegelianer waren und namentlich unter dem Einfluß von Moses Heß standen, ebenfalls eines rheinischen Kaufmannssohnes, der sich neben der Hegelschen Philosophie bereits mit dem französischen Sozialismus vertraut gemacht hatte. Sie warben unter ihren Gesinnungsgenossen die Mitarbeiter des Blattes, und namentlich auch unter den Berliner Junghegelianern, von denen Rutenberg sogar die Redaktion des deutschen Artikels übernahm: auf Empfehlung von Marx, der damit keine besondere Ehre einlegen sollte.

Na komisch, zufällig sind die maßgeblichen Redakteure „Junghegelianer“, also eigentlich wohl Anhänger von David Friedrich Strauß und Bruno Bauer und Ruge, Herwegh, Feuerbach. Aber gerade die führenden Köpfe dieser Junghegelianer , von denen nicht nur Bruno Bauer und sein Bruder Edgar eine besoldete Anstellung als Journalist dringend gebraucht hätten tauchen dann im eigentlichen Redaktionsteam nicht auf, dürfen aber einige Beiträge liefern, gerade die Bauers aber nicht mehr lange.

Da sollen also preußenfreundliche, reiche Geschäftsleute in Köln versehentlich die Redaktion ihrer subventionierten Zeitung irgendwelchen „Junghegelianern“ überlassen haben?

Und dann soll ausgerechnet der engste Freund des Bruno Bauer, unser zukünftiger Kommunist Karl Marx, noch großen Einfluss auf die Zeitung gewinnen.

Nur der feste Glaube an das Menschheitsgenie Karl Marx kann einen bei der folgenden Darstellung nicht ins Grübeln bringen:

Marx selbst muß dem Unternehmen von früh an nahegestanden haben. Er wollte Ende März von Trier nach Köln übersiedeln, aber das Leben war ihm dort zu geräuschvoll; er schlug seine Stätte einstweilen in Bonn auf, von wo Bruno Bauer inzwischen verschwunden war; »es wäre auch schade, wenn niemand hier bliebe, an dem die Heiligen ein Ärgernis nehmen«. Von hier aus begann er seine Beiträge für die »Rheinische Zeitung« zu schreiben, durch die er bald alle anderen Mitarbeiter überflügeln sollte.

Von der fragwürdigen Qualität dieser Beiträge kann sich dank Internet heute jeder selber schnell eine Vorstellung verschaffen. Bitte sehr:

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_028.htm

Da fragt man sich ja, wer das Gefasel überhaupt lesen sollte. Natürlich unter Pseudonym geschrieben. Vor wessen Augen sollte die Mitarbeit des Karl Marx an der Rheinischen Zeitung verborgen bleiben? Vor den Spitzeln der preußischen Regierung hätte das Pseudonym wenig geholfen, abgesehen davon, dass die ganze Redaktion vermutlich aus den Spitzeln der preußischen Regierung bestand.

Das ist nämlich die einzige vernünftige Erklärung dafür, dass da angeblich zufällig die ganze Redaktion von „Junghegelianern“ übernommen worden sei. Agenten haben wenig wert, wenn sie den ganzen Tag ihren Lebensunterhalt mit irgendeinem festen Job verdienen müssen. Umgekehrt ist der Journalistenberuf die ideale Anstellung für Regierungsagenten, die ja als Journalisten bevorzugt einfach und für alle, die nicht vom Fach sind, ganz unverdächtig Kontakte in politische und besonders regimefeindliche Kreise aufbauen und pflegen können.

Alles nur für die Zeitung, Recherchen für einen Artikel, versteht sich doch. Mehring hat das sicher auch gewusst: Zeitungsredaktionen sind der ganz unvermeidbare Ort für alle bezahlten Politakteure aller beteiligten Kräfte.

Vermutlich wird das berüchtigte Agentennetz des dafür berühmten österreichischen Außenministers Metternich im Rheinland in der Kölnischen Zeitung eine Filiale gehabt haben, wo auch sonst.

Bei der Rheinischen Zeitung haben wir dann die „Junghegelianer“ des preußischen Kultusministers Eichhorn, wie uns Mehring hier ganz ungerührt versichert; und gewiss waren das einfach die fähigsten Geistesarbeiter, die gerade zu finden waren.

Wenngleich die persönlichen Beziehungen Jungs und Oppenheims den ersten Anstoß dazu gegeben haben mögen, das Blatt zum Tummelplatz der Junghegelianer zu machen, so ist doch schwer anzunehmen, daß diese Wendung sich ohne Billigung oder gar wider Wissen der eigentlichen Aktionäre vollzogen haben sollte. Sie werden pfiffig genug gewesen sein, zu erkennen, daß sie fähigere Geistesarbeiter in dem damaligen Deutschland nicht finden konnten. Preußenfreundlich waren die Junghegelianer selbst bis zum Überschwange, und was der Kölner Bourgeoisie sonst an deren Treiben unverständlich oder verdächtig sein mochte, wird sie als unschädliche Schrullen betrachtet haben. Jedenfalls schritt sie nicht ein, als schon in den ersten Wochen aus Berlin Klagen über die »subversive Tendenz« des Blattes einliefen und sein Verbot für das Ende des ersten Quartals drohte. Namentlich durch die Berufung Rutenbergs war die Berliner Vorsehung erschreckt worden; er galt als fürchterlicher Revolutionär und stand unter strenger politischer Aufsicht; noch in den Märztagen von 1848 hat Friedrich Wilhelm IV. vor ihm als dem eigentlichen Anstifter der Revolution gezittert. Wenn der tötende Blitzstrahl einstweilen von dem Blatte abgelenkt wurde, so war es in erster Reihe dem Kultusminister geschuldet; bei aller reaktionären Gesinnung vertrat Eichhorn die Notwendigkeit, der ultramontanen Tendenz der »Kölnischen Zeitung« entgegenzuwirken; möge die Richtung der »Rheinischen Zeitung« »fast noch bedenklicher« sein, so spiele sie doch nur mit Ideen, die für keinen, der irgend festen Fuß im Leben habe, verlockend sein könnten.

Man sieht da bei der Lektüre fast den verschmitzten Blick und das Augenzwinkern des Franz Mehring vor sich, der sich bei seiner Marx-Biographie immer wieder ganz erstaunliche Freiheiten erlaubt hat, brauchte er doch bis heute kaum die Intelligenz der Leser zu fürchten: wer das richtig verstand, der wusste es eh schon.

Es war also der Kultusminister Eichhorn mit der Zeitung befasst, der dem Bruno Bauer das Lehrverbot ausgesprochen hatte, dessen „Freund“ Karl Marx nun mit dieser Zeitung seine nächste Aufgabe erhalten sollte.

Karl Marx wollte schon Ende März von Trier nach Köln übersiedeln, wie uns Mehring oben informiert, aber das wäre ja doch zu auffällig gewesen und hätte Verdacht hinsichtlich der von Mehring erwähnten „Berliner Vorsehung“ erweckt.
Also musste Marx seine ersten Artikelchen (er hatte vor der Rheinischen Zeitung außer zwei Gedichten in einer kurzlebigen Literaturgazette noch buchstäblich überhaupt nichts veröffentlicht, nicht einmal seine Dissertation, und konnte so nicht gleich zum Chefredakteur gemacht werden) noch von Bonn aus einreichen.

Wer will, kann sich hier noch einmal die Artikel durchlesen, mit denen sich Marx plötzlich zum Chefredakteur qualifiziert haben soll:

http://www.mlwerke.de/me/me_ak42.htm

Mehring muß die erstaunliche Karriere auch begründen:

…die praktische Art, womit er die Dinge angriff, wird die Aktionäre des Blattes gründlicher mit dem Junghegelianismus versöhnt haben als etwa die Beiträge Bruno Bauers oder Max Stirners. Sonst wäre es nicht zu begreifen, daß sie ihn wenige Monate, nachdem er seinen ersten Beitrag eingesandt hatte, im Oktober 1842 bereits an die Spitze des Blattes stellten.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_5

Ja, fast wäre es wirklich nicht zu begreifen.

Der Marx-Biograph Raddatz hat die wichtigsten Informationen zu diesem Thema in einen kleinen Absatz hineingepresst:

Georg Jung war schon seit 1841 mit Marx recht eng befreundet, war – anfangs wohl ohne Marx´ Wissen – eines der führenden Mitglieder des „Kölner Kreises“, mit dem einflussreiche Persönlichkeiten wie Camphausen und Hansemann sowie eine Gruppe gebildeter Liberaler sympathisierten. Camphausen, einer der beiden Aufsichtsratsvorsitzenden der „Rheinischen Zeitung“, dann preußischer Ministerpräsident, hatte Marx auch im Frühjahr 1848 wissen lassen, er würde ihn gern als Mitarbeiter in Berlin sehen. Marx nannte das eine „Insinuation“.
Raddatz, a.a.O. S. 42/43

Diese “Insinuation” werden wir besser eine Entlarvung nennen.
 
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Gottfried Ludolf Camphausen war von 1838 bis 1848 Präsident der Kölner Handelskammer, sein Bankhaus gehörte zu den vier größten Kölner Banken und er finanzierte Eisenbahnen und moderne Dampfschiffe, Bergbau und Großindustrie. Während der Märzrevolution wurde Camphausen am 29. März 1848 von Wilhelm IV. mit der Bildung der neuen Regierung beauftragt, trat allerdings schon am 20. Juni 1848 wieder zurück. Karl Marx hat also mit dem Verzicht auf seine Mitwirkung an der Regierung Camphausen nicht viel verloren.

Der Bruder Otto von Camphausen wurde 1844 Regierungsrat in Trier, 1845 ins preußische Finanzministerium berufen und war 1869-78 preußischer Finanzminister.

Zurück zum Chefredakteur der Rheinischen Zeitung. Offiziell war der Titel nicht, dazu wieder Raddatz:

Die Zeitung, vom „Kölner Kreis“ finanziell aufs beste abgesichert – die „Rheinische Zeitungsgesellschaft KG“ verfügte über 30.000 Taler – nannte ihn in ihrem Funktionsplan „eigentlichen Redakteur“; Marx erhielt das ansehnliche Jahresgehalt von 600 Talern. Im Impressum des Blattes ist er nicht genannt.
Raddatz, a.a.O. S. 43

Vor der Regierung brauchte man ihn nicht zu verbergen, wie schon gesagt, aber andere Leute hätten sich wohl zu sehr gewundert.

Die Artikel von Marx zu den Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz sind sozusagen der Höhepunkt seiner journalistischen Arbeit für die Rheinische Zeitung; hier zum Nachlesen:

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_109.htm

Wieder sind die Artikel mit „Von einem Rheinländer“ gezeichnet.

Der Höhepunkt seiner politischen Arbeit war allerdings der Bruch mit den Bauers und der mit Hilfe der Rheinischen Zeitung hochgezogene Streit unter den ehemaligen Mitgliedern des Berliner Doctorclubs.

Mit denen war gar kein Staat mehr zu machen, seitdem die gemilderte Zensurinstruktion den Doktorklub, durch den doch immer »ein geistiges Interesse ging«, in eine Gesellschaft der sogenannten Freien gewandelt hatte, in der sich so ziemlich alle vormärzlichen Literaten der preußischen Hauptstadt zusammenfanden, um die politischen und sozialen Revolutionäre in der Gestalt wild gewordener Philister zu spielen.
Mehring: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_5

Anscheinend war Rutenberg für den Kampf gegen den Berliner Freundeskreis nicht recht gewillt gewesen und deshalb durch Marx ersetzt worden. Der ist sogleich besorgt wegen des Treibens und um den Ruf der guten Sache, wie uns Mehring versichern will:

Ihre Bettelaufzüge in den Straßen, ihre Skandalszenen in Bordellen und Kneipen, ihr abgeschmacktes Hänseln eines wehrlosen Geistlichen, dem Bruno Bauer bei Stirners Trauung die messingenen Ringe seiner gehäkelten Geldbörse mit dem Bemerken überreichte, als Trauringe seien sie gut genug - alles das machte die Freien zum Gegenstande halb der Bewunderung und halb des Grauens für alle zahmen Philister, stellte aber unheilbar die Sache bloß, die sie angeblich vertraten.

Natürlich wirkte dies gassenjungenhafte Treiben auch verheerend auf die geistige Produktion der Freien, und Marx hatte mit ihren Beiträgen für die »Rheinische Zeitung« seine liebe Not. Viele davon verfielen dem Rotstifte des Zensors, aber - so schrieb Marx an Ruge - »ebensoviel wie der Zensor erlaubte ich mir selbst zu annullieren, indem Meyen und Konsorten weltumwälzungsschwangre und gedankenleere Sudeleien in saloppem Stil, mit etwas Atheismus und Kommunismus (den die Herrn nie studiert haben) versetzt, haufenweise uns zusandten, bei Rutenbergs gänzlichem Mangel an Kritik, Selbständigkeit und Fähigkeit sich gewöhnt hatten, die ›Rh[einische] Z[eitung]‹ als ihr willenloses Organ zu betrachten, ich aber nicht weiter dies Wasserabschlagen in alter Weise gestatten zu dürfen glaubte«. Dies war der erste Grund zur »Verfinsterung des Berliner Himmels«, wie Marx sagte.


Schon im November 1842 bietet sich die Gelegenheit, die Rheinische Zeitung gegen die ehemaligen Freunde in Berlin in Stellung zu bringen. Herwegh war 1842 nach Deutschland gekommen, um Mitarbeiter und Förderer für seine geplante Zeitung zu bekommen, hatte in Berlin sogar eine Audienz bei Wilhelm IV. erhalten, der nach der Audienz Herweghs Zeitschrift noch vor ihrem Erscheinen verbieten ließ.

Nach einem offenen Brief Herweghs über die politischen Verhältnisse wurde Herwegh im Dezember aus Preußen ausgewiesen. Bei seinem Aufenthalt in Berlin hatte sich Herwegh noch im November mit einem jungen Mädchen aus vermögendem Hause verlobt, die ihm bald nachreisen und seine Frau werden sollte.

Zum Bruche kam es, als im November 1842 Herwegh und Ruge einen Besuch in Berlin machten. Herwegh befand sich damals auf seiner berühmten Triumphfahrt durch Deutschland, auf der er auch mit Marx in Köln schnelle Freundschaft geschlossen hatte; in Dresden war er mit Ruge zusammengetroffen und mit ihm zusammen nach Berlin gereist. Hier vermochten sie begreiflicherweise dem Unfug der Freien keinen Geschmack abzugewinnen; Ruge kam hart mit seinem Mitarbeiter Bruno Bauer aneinander, weil ihm dieser »die lächerlichsten Dinge auf die Nase binden« wollte, so die Behauptung, daß Staat, Eigentum und Familie im Begriff aufgelöst werden müßten, ohne daß man sich um die positive Seite der Sache weiter zu bekümmern habe. Ebenso geringes Wohlgefallen fand Herwegh an den Freien, die sich für diese Mißachtung dafür rächten, daß sie die bekannte Audienz des Dichters beim König und seine Verlobung mit einem reichen Mädchen in ihrer Weise durchhechelten.

Die streitenden Teile wandten sich beide an die »Rheinische Zeitung«. Herwegh, im Einverständnis mit Ruge, bat um die Aufnahme einer Notiz, worin den Freien zwar zugestanden war, daß sie einzeln meistens treffliche Leute seien, aber hinzugefügt wurde, daß sie, wie Herwegh und Ruge ihnen offen erklärt hätten, durch ihre politische Romantik, Geniesucht und Renommage die Sache und die Partei der Freiheit kompromittierten. Marx veröffentlichte diese Notiz wurde nun aber mit groben Briefen von Meyen überfallen, der sich zum Sprachrohr der Freien machte.
Mehring, ebenda.

Nun hatte man mit diesem durch die Publikationen aufgebauschten Streit die Bauers und ihre Berliner Anhänger von Herwegh und Ruge getrennt, was deshalb besonders wichtig wurde, weil sowohl Ruge als auch bald Herwegh mit seiner vermögenden Frau in der Lage waren, oppositionelle Kreise und Zeitungsprojekte zu finanzieren.

Das Ende der „Junghegelianer“ in Preußen war daher abzusehen, die Hallischen Jahrbücher und später die Deutschen Jahrbücher des Arnold Ruge waren ihr Publikationsorgan gewesen.

Die Rheinische Zeitung hatte wohl weiter keine Aufgabe gefunden, außer unter Marx diesen Streit noch etwas zuzuspitzen.

Einen vernünftigen Grund für das Verbot der Rheinischen Zeitung hat man anscheinend nicht gehabt. Mehring schildert das Verbot der Zeitung:

Um die Jahreswende hatte eine Reihe von Vorkommnissen den Zorn des Königs gereizt: ein sentimental-trotziger Brief, den Herwegh aus Königsberg an ihn gerichtet und den die »Leipziger Allgemeine Zeitung« ohne Wissen und wider Willen des Verfassers veröffentlicht hatte, die Freisprechung Johann Jacobys von der Anklage des Hochverrats und der Majestätsbeleidigung durch den obersten Gerichtshof, endlich auch das Neujahrsbekenntnis der »Deutschen Jahrbücher« »zur Demokratie mit ihren praktischen Problemen«. Sie wurden daraufhin sofort verboten, und so auch - für Preußen - die »Leipziger Allgemeine Zeitung«; nun sollte in einem Aufwaschen auch die Hurenschwester vom Rhein« daran, zumal da sie die Unterdrückung der beiden Blätter scharf gegeißelt hatte.

Zur formellen Handhabe des Verbots diente der angebliche Mangel einer Konzession - »als wenn in Preußen, wo kein Hund leben darf ohne seine Polizeimarke, die ›Rh[einische Zeitung]‹ auch nur einen Tag ohne die offiziellen Lebensbedingungen hätte erscheinen können«, wie Marx meinte - und als »sachlicher Grund« wurde der alt- wie neupreußische Schwatz von der ruchlosen Tendenz angegeben - »der alte Larifari von schlechter Gesinnung, hohler Theorie, Dideldumdey usw.«, wie Marx spottete. Aus Rücksicht auf die Aktionäre wurde das Erscheinen der Zeitung bis zum Ablauf des Vierteljahrs gestattet. »Während dieser Galgenfrist hat sie Doppelzensur. Unser Zensor, ein ehrenwerter Mann, ist unter die Zensur des hiesigen Regierungspräsidenten von Gerlach, eines passiv gehorsamen Dummkopfs, gestellt, und zwar muß unser fertiges Blatt der Polizeinase zum Riechen präsentiert werden, und wenn sie was Unchristliches, Unpreußisches riecht, darf die Zeitung nicht erscheinen.« So Marx an Ruge.


Nach Raddatz angeblich um die Zeitung zu retten, naheliegender aber, um sich selbst zum großen Oppositionellen aufzubauen, will Marx der Öffentlichkeit eine selbstverfasste Geschichte andrehen, nach der die Rheinische Zeitung seinetwegen verboten worden wäre.

Er bittet seinen Stellvertreter Heinzen - um das Blatt zu retten-, einen Artikel in irgendeiner Zeitschrift unterzubringen, der ihn allein, Karl Marx, als den Hauptschuldigen ausweist. Der Artikel ist sogar schon fertig, Heinzen braucht ihn gar nicht mehr zu schreiben - Marx hat ihn bereits verfasst:
Raddatz, a.a.O. S. 46

Heinzen will sich selber zwar nicht dafür hergeben, findet aber den Karl Grün, der den Artikel in die „Mannheimer Abendzeitung“ bringt.

Am 28. Februar 1843 erscheint der Artikel von Marx über Marx. Er erinnert die Leser des >scharfen incisiven Verstandes, der wahrhaft bewunderungswürdigen Dialektik, womit der Verfasser sich in die hohlen Äußerungen der Abgeordneten gleichsam hineinfraß, und sie dann von innen heraus vernichtete; nicht oft war der kritische Verstand in solcher zerstörungslustigen Virtuosität gesehen, nie hat er glänzender seinen Haß gegen das sogenannte Positive gezeigt, dasselbe so in seinen eigenen Netzen gefangen und erdrückt. ...eine merkwürdige Begabung und seine seltene Vielseitigkeit des Talentes.<
Raddatz, a.a.O. Seite 46/47

Da hat er seinen Stil mit seiner Selbstbeweihräucherung noch einmal übertroffen.

Wenn man es nicht wüsste und die Geschichte ausgedacht wäre, müssten wir in der nächsten Folge Karl Marx eng an der Seite von Arnold Ruge und Georg Herwegh irgendwo im Ausland finden, wo sich die beiden Letztgenannten bei erneuten politischen Aktivitäten versuchen, unterstützt von unserem und ihrem Freund Karl Marx – versteht sich.

Marx selbst aber schrieb schon am 25. Januar an Ruge, demselben Tage, an dem das Verbot der »Rheinischen Zeitung« nach Köln gelangt war: »Mich hat nichts überrascht. Sie wissen, was ich gleich von der Zensurinstruktion hielt. Ich sehe hier nur eine Konsequenz, ich sehe in der Unterdrückung der ›Rh[einischen] Z[eitung]‹ einen Fortschritt des politischen Bewußtseins und resigniere daher. Außerdem war mir die Atmosphäre so schwül geworden. Es ist schlimm, Knechtsdienste, selbst für die Freiheit zu verrichten und mit Nadeln statt mit Kolben zu fechten. Ich bin der Heuchelei, der Dummheit, der rohen Autorität und unseres Schmiegens, Biegens, Rückendrehens und Wortklauberei müde gewesen. Also die Regierung hat mich wieder in Freiheit gesetzt ... In Deutschland kann ich nichts mehr beginnen. Man verfälscht sich hier selbst.«

Er fragte schon am 25. Januar bei Ruge an, ob er am »Deutschen Boten«, den Herwegh damals in Zürich. erscheinen lassen wollte, eine Tätigkeit finden würde, doch wurde die Absicht Herweghs, noch ehe sie ausgeführt werden konnte, durch seine Ausweisung aus Zürich zerstört. Ruge machte nun andere Vorschläge eines gemeinsamen Wirkens, unter anderem die gemeinsame Redaktion der umgestalteten und umgetauften Jahrbücher; Marx möge nach Schluß seiner Kölner »Redaktionsqual« zur mündlichen Verhandlung über den »Ort unserer Wiedergeburt« nach Leipzig kommen.

Mehring, ebenda.

Arnold Ruge plant die Herausgabe einer neuen Zeitschrift in Frankreich, die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“. Er ist vermögend, zum Leidwesen der preußischen Regierung, und kann auch finanziell so ein Projekt realisieren. Er fällt aber auf Marx herein und wir ahnen schon: es wird nicht viel damit werden:

Nicht ohne Mühe, aber doch verhältnismäßig schnell, und auch ohne daß Marx sich nach Leipzig begab, ist das Erscheinen der neuen Zeitschrift gesichert worden. Fröbel entschloß sich, den Verlag zu übernehmen, nachdem der wohlhabende Ruge sich bereit erklärt hatte, als Kommanditär mit 6.000 Talern in das Literarische Kontor einzutreten. Als Redaktionsgehalt für Marx wurden 500 Taler ausgeworfen. Auf diese Aussicht hin heiratete er seine Jenny am 19. Juni 1843.
Mehring: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_015.htm#Kap_5

Fast hätten wir jetzt die heißgeliebte Braut Jenny vergessen und übersprungen:

Er schrieb an Ruge, sobald der Plan feste Gestalt angenommen habe, wolle er nach Kreuznach reisen, wo die Mutter seiner Braut seit dem Tode ihres Gatten lebte, und dort heiraten, dann aber einige Zeit bei seiner Schwiegermutter bleiben, »da wir doch jedenfalls, ehe wir ans Werk gehn, einige Arbeiten fertig haben müßten ... Ich kann Ihnen ohne alle Romantik versichern, daß ich von Kopf bis zu Fuß und zwar allen Ernstes liebe. Ich bin schon über sieben Jahre verlobt, und meine Braut hat die härtesten, ihre Gesundheit fast untergrabenden Kämpfe für mich gekämpft, teils mit ihren pietistisch-aristokratischen Verwandten, denen der ›Herr im Himmel‹ und der ›Herr in Berlin‹ gleiche Kultusobjekte sind, teils mit meiner eigenen Familie, in der einige Pfaffen und andre Feinde von mir sich eingenistet haben. Ich und meine Braut haben daher mehr unnötige und angreifende Konflikte jahrelang durchgekämpft, als manche andre, die dreimal älter sind und beständig von ihrer ›Lebenserfahrung‹ sprechen.« Außer dieser kargen Andeutung ist auch über die Kämpfe der Brautzeit nichts überliefert worden.
Mehring, ebenda.

Die Arbeit an den Deutsch-Französischen Jahrbüchern würde sich also erst einmal bis einige Monate nach der Hochzeit verzögern. Im November 1843 wird der Hausstand dann nach Paris verlegt. Im Oktober hatte Marx noch den Feuerbach zur Mitarbeit locken wollen, was dieser zu seinem Glück abgelehnt hat.
 
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Marx mit Ruge und Herwegh in Paris

Der 1802 geboren Arnold Ruge, Sohn eines Gutsverwalters, hatte in Halle, Jena und Heidelberg Philosophie studiert. In Heidelberg wurde er im Frühjahr 1824 als führendes Mitglied des „Jünglingsbunds“ verhaftet, der im August 1823 an die preußische Polizei verraten worden war.

Anders als im Fall des Franz von Florencourt, gegen den die Ermittlungen eingestellt wurden, weil er sich inzwischen von den Zielen des Jünglingsbundes wieder losgesagt hatte, musste Arnold Ruge im Alter von 21 Jahren die nächsten sechs Jahre seines jungen Lebens in preußischer Haft verbringen.
Nach einjähriger Untersuchungshaft in Köpenick wurde Ruge zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, die er bis zu seiner Begnadigung durch den König Friedrich Wilhelm III. im Frühjahr 1830 in der Festung Kolberg mit klassischen Studien verbrachte.

Nach seiner Freilassung gab man ihm eine Anstellung am Königlichen Paedagogicum der Franckeschen Stiftungen mit Waisenhaus, Schule, Druckerei, Buchhandlung, Apotheke und Zeitung in Halle:

Getragen von pietistischer Frömmigkeit setzte Francke mit seinen Stiftungen, die aus einem mehrgliedrigen Schulsystem, aus Wirtschaftsbetrieben und wissenschaftlichen Institutionen bestanden, den sozialen Problemen seiner Zeit ein Beispiel praktischer Nächstenliebe entgegen. Die pädagogischen Anstrengungen und die religiöse Erziehung begründeten den Ruf des halleschen Waisenhauses als Neues Jerusalem in ganz Europa. Die Reformpläne des Halleschen Pietismus wurden durch Lehrer, Ärzte und Missionare in die Welt getragen. Ihre Spuren findet man heute noch in vielen europäischen Ländern, aber auch in Indien und den USA. Die erste protestantische Mission, die Diakonie, die Realschule in Deutschland, Millionen deutschsprachige Volksbibeln und eine Vielzahl der gängigen evangelischen Kirchenlieder haben ihren Ausgangspunkt in den Franckeschen Stiftungen.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Franckesche_Stiftungen

Dort konnte sich Ruge schon im folgenden Jahr habilitieren und bis 1836 als Privatdozent lehren.

Ab Januar 1838 gab Ruge zusammen mit dem ebenfalls am Paedagogicum lehrenden Ernst Theodor Echtermeyer die Hallischen Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst heraus, die bald zur wichtigsten Publikation und Diskussionsplattform der Junghegelianer wurden.

Als im Frühjahr 1841 die preußische Regierung die „Jahrbücher“ wegen deren liberaler Richtung zensierte und verbot, verlegte Ruge die Redaktion von Halle nach Dresden und änderte der Titel in „Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst“. Innenminister Dr. Johann Paul von Falkenstein entzog jedoch auch dieser Zeitschrift die Konzession. Ruge ließ sich daraufhin in der Schweiz nieder und ließ seine „Jahrbücher“ dort erscheinen.Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Arnold_Ruge

Echtermeyer, der 1840 mit Ruge noch den „Deutschen Musenalmanach“ herausgegeben hatte, musste seinen Wohnsitz 1841 ebenfalls nach Dresden verlegen, wo er schon 1844 verstarb.

Den Lebenslauf des 1817 geborenen Georg Herwegh sollte man etwas kritischer studieren, wenn man nicht zu den Einfältigen gehört, die sich mit der Geschichte vom berühmt und reich gewordenen edlen Dichter abspeisen lassen. Allerdings kann ich das hier nur andeutungsweise machen.

Der Sohn eines Gastwirts flog 1836 als Freigeist vom Tübinger Stift, wo er auf Staatskosten Theologie studierte, wechselte dann auf Jura und brach aus finanziellen Gründen das Studium nach einem halben Jahr ab.

Ab 1837 arbeitet er an der Zeitschrift „Europa“ des August Lewald und am „Telegraph für Deutschland“ des Karl Gutzkow.
Mit August Lewald kommen wir den Hintergründen solcher Künstlerkarrieren etwas näher:

Lewald sollte nach Willen seiner Eltern Kaufmann werden. Mit 21 Jahren kam Lewald als Sekretär ins zaristische Hauptquartier und war während der Befreiungskriege 1813 bis 1815 dort im Stab tätig. Ab 1818 wirkte er an den Bühnen von Brünn und München als Schauspieler. 1824 engagierte man Lewald als Intendant an das Nürnberger Theater. Weitere Stationen waren Hamburg, Paris und München. Von dort aus holte man Lewald 1834 nach Stuttgart, wo er sich niederließ und 1835 die Zeitschrift "Europa" gründete. Er gab die Zeitschrift bis 1846 heraus. Mit Heinrich Heine verband ihn seit 1827 eine Freundschaft, ebenso mit Karl von Holtei und Karl Schall, die er nach 1815 in Breslau kennengelernt hatte.
In Stuttgart verkehrte er viel mit den beiden Schauspielern Moritz Rott und Karl Seydelmann und mit Karl Gutzkow, der später Mitarbeiter der "Europa" wurde.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/August_Lewald

Wir werden ja später noch mehr „marxistische“ Klagen über zaristische Agenten vernehmen und wollen es hier etwas kurz machen. Vermutlich war Lewald kein Agent des Zaren, sondern schon als junger Mann im zaristischen Stab mit speziellen Fragen der Lenkung von Finanzen und Versorgung befasst. Derartige Dinge waren dann mit dem Sieg über Napoleon vom Tisch und es galt, die Salons zu erobern.

Die Kunst bringt die Leute in Kontakt mit den einflussreichsten gesellschaftlichen Kreisen, falls der Künstler sich politisch einspannen lässt und ausreichend anpassungsfähig ist, sobald sich die politischen Verhältnisse ändern.

Weil das heute noch so üblich ist, liest man wenig davon.
Von 1849 bis 1862 war er Regisseur am Stuttgarter Hoftheater. 1851 konvertierte er in München zur katholischen Kirche.

Seine letzten Werke sind stark vom Ultramontanismus geprägt, sein "Theaterroman" (1841) trägt autobiographische Züge.
Quelle wie oben.

Jedenfalls war Lewald einflussreich genug, seinem Schützling Herwegh den Militärdienst zu erleichtern:

Dank seines Herausgebers ist es ihm möglich, trotz Militärdienst seine Arbeit bei der Zeitschrift fortzuführen. Mit Erfolg. Er erhält den Auftrag, französische Werke zu übersetzen und hat damit ein gesichertes Auskommen. Herwegh verkehrt in den literarischen Salons, hat sogar Einfluß in der Theaterszene.…
Ende Juni 1839 begeht er jedoch einen fatalen Fehler. Er beleidigt auf einem Maskenball einen Offizier. Zur Strafe soll er zu einem Regiment nach Ulm versetzt werden. Herwegh entzieht sich der Strafe, indem er in die Schweiz flieht.

Quelle: http://www.herwegh-gymnasium.de/fachbereiche/deutsch/herwegh.php

Herwegh arbeitet 1839 an Johann Georg August Wirths „Deutscher Volkshalle“ in Emmishofen als Literaturkritiker, zieht aber schon 1840 nach Zürich, wo er sich mit dem uns bereits bekannten Adolf Ludwig Follen anfreundet.

Der oben als Herausgeber des „Telegraph für Deutschland“ schon genannte Karl Gutzkow war der Sohn eines Stallmeisters des Prinzen Wilhelm von Preußen.

Friedrich Wilhelm Karl Prinz von Preußen (* 3. Juli 1783 in Berlin; † 28. September 1851 ebenda) war preußischer General der Kavallerie, Generalgouverneur der Rheinprovinzen und Gouverneur der Bundesfestung Mainz.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Preußen_(1783–1851)

Wir dürfen also davon ausgehen, dass er auch nicht mit der gedichteten Buchstabensuppe angeschwommen kam, sondern entsprechend in die politischen Netzwerke eingebunden war.

Sein Vater Karl August, ein gelernter Maurer, arbeitete bei Prinz Wilhelm von Preußen (1783–1851) als Stallmeister. Von 1821 bis 1829 besuchte er das Friedrich-Werdersche-Gymnasium. Zum Sommersemester 1829 immatrikulierte sich Gutzkow an der Universität in Berlin in den Fächern Philologie, Theologie und Rechtswissenschaft. Vorlesungen hörte er unter anderem bei Hegel und Schleiermacher. Später wechselte er an die Universität Heidelberg und dann nach München. 1830 erhielt Gutzkow für eine Arbeit (De diis fatalibus) von der Berliner Universität einen Preis, der ihm von Hegel persönlich überreicht wurde. Die französische Julirevolution lenkte sein Interesse den Fragen und Forderungen seiner Zeit zu.

Noch als Student begann Gutzkow 1831 mit der Herausgabe der Zeitschrift Forum der Journal-Literatur. Ende des Jahres verließ er Berlin und reiste zu dem Literaturkritiker Wolfgang Menzel nach Stuttgart. 1832 wurde er von der Universität Jena promoviert; in Abwesenheit.

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Gutzkow

Noch ein ohne Abschluss an der Universität Jena in Abwesenheit promovierter Kandidat. Dass die Leute auch immer keine Zeit für ihre Promotionen haben; oder war es besser, sich nicht näher zum Thema befragen zu lassen? So ein Fachgespräch hat seine Tücken.
 
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In Zürich war nicht nur der durch seine Heirat mit einer vermögenden Schweizerin zum Mitglied des Großen Rats und Druckereibesitzer aufgestiegene ehemalige Burschenschaftler Adolf Ludwig Follen. Es gab vor allem einen Verlag, das Literarische Comptoir, das die Schriften der deutschen „Zensurflüchtlinge“ und Emigranten verlegte, bis es 1843 selbst politische Probleme bekam.

Ein Überblick der Veröffentlichungen und ihrer Autoren zwischen 1841 bis 1843:

1841: Lieder eines Lebendigen, Gedichte von Georg Herwegh.

1842: Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit, Streitschrift von Bruno Bauer.

1842-43: Der Schweizer Republikaner, Zeitschrift redigiert von Julius Fröbel.

1843: Zensurflüchtlinge. 12 Freiheitslieder, von Rudolf Gottschall.

1843: Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Programmschrift von Ludwig Feuerbach.

1843: Der Tod des Pfarrers Dr. Friedrich Ludwig Weidig. Ein aktenmäßiger und urkundlich belegter Beitrag zur Beurteilung des geheimen Strafprozesses und der politischen Zustände Deutschlands, Dokumentation von Friedrich Wilhelm Schulz.

1843: Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publizistik, zwei Sammelbände hrsg. von Arnold Ruge, als Fortsetzung seiner in Preussen und Sachsen verbotenen Jahrbücher.

1843: Das entdeckte Christentum. Eine Erinnerung an das 18. Jahrhundert und ein Beitrag zur Krisis des 19., Streitschrift von Bruno Bauer.

1843: Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, Sammelband hrsg. von Georg Herwegh als Ersatz für die bereits im Planungsstadium verbotene Zeitschrift Der Deutsche Bote aus der Schweiz, die Herwegh redigieren sollte, was an seiner Ausweisung aus Zürich scheiterte; mit Beiträgen von Bruno Bauer, David Friedrich Strauß, Friedrich Engels, Friedrich Hecker, Moses Heß, Reinhold Jachmann, Johann Jacoby, Karl Nauwerck, Ludwig Seeger.

http://de.wikipedia.org/wiki/Literarisches_Comptoir_Zürich_und_Winterthur

Der Titel „Einundzwanzig Bogen“ des Sammelbands von Herwegh rührte daher, dass nur Bücher bis zum Umfang von 20 Druckbogen oder 320 Seiten der Zensur nach den Karlsbader Beschlüssen vorgelegt werden mussten.

Mit seiner Gedichtsammlung „Lieder eines Lebendigen“ war Herwegh weithin bekannt geworden und trat 1842 eine Reise durch Deutschland an um Mitarbeiter und Unterstützung für seine geplante Zeitschrift „Der Deutsche Bote aus der Schweiz“ zu sammeln. Dabei traf Herwegh in Köln erstmals Karl Marx, für dessen „Rheinische Zeitung“ er geschrieben hatte, und kam schließlich nach Berlin, wo er eine Audienz bei Friedrich Wilhelm IV. erhielt, der die geplante Zeitung allerdings im Anschluss an die Audienz verbieten ließ.

In Berlin hatte Herwegh als in den Salons gefeierter junger Mann die Liebe einer Hoflieferantentochter erweckt, der Emma Siegmund, die sich sofort mit ihm verlobte und später seine Frau wurde. Im Dezember 1842 wurde Herwegh aus Preußen ausgewiesen, weil er sich in einem offenen Brief über die politischen Verhältnisse beschwert hatte. Auf der Rückreise lernte Herwegh in Leipzig den Anarchisten Michael Bakunin kennen.

In Zürich kam es dann auch bald nach der Veröffentlichung der „Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz“ zu Repressionen:

Der konservativen Staatsrechtler Johann Caspar Bluntschli, seit 1839 Mitglied der Zürcher Regierung, bewirkte 1843 die Ausweisung Herweghs, die Verhaftung und Verurteilung des frühsozialistischen Agitators Wilhelm Weitling, mit dem Fröbel in Verbindung stand, sowie die Konfiskation des Entdeckten Christentums und der Einundzwanzig Bogen. Fröbel und sein Drucker Hegner wurden im folgenden Jahr wegen Religionsstörung zu hohen Geldbußen und zwei bzw. drei Monaten Haft verurteilt. Der Verlag verlor Vermögenswerte in Höhe von mehreren tausend Franken.
http://de.wikipedia.org/wiki/Literarisches_Comptoir_Zürich_und_Winterthur

Die Hoffnung von Herwegh und Ruge richtete sich nun auf Frankreich, wo Ruge in Zukunft seine „Französisch Deutschen Jahrbücher“ herauszugeben gedachte. Ein später im einzig erschienenen Heft der Jahrbücher abgedruckter Briefwechsel von Marx an Ruge soll die Stimmung zeigen - ansonsten war es natürlich ein abgeschmackter Unsinn von Marx, dem Leser dieser Jahrbücher solche Briefe zuzumuten.

M. an R.
Kreuznach, im September 1843

Es freut mich, daß Sie entschlossen sind und von den Rückblicken auf das Vergangene Ihre Gedanken zu einem neuen Unternehmen vorwärts wenden. Also in Paris, der alten Hochschule der Philosophie, absit omen |möge es nichts Schlimmes bedeuten|! und der neuen Hauptstadt der neuen Welt. Was notwendig ist, das fügt sich. Ich zweifle daher nicht, daß sich alle Hindernisse, deren Gewicht ich nicht verkenne, beseitigen lassen.

Das Unternehmen mag aber zustande kommen oder nicht; jedenfalls werde ich Ende dieses Monats in Paris sein, da die hiesige Luft leibeigen macht und ich in Deutschland durchaus keinen Spielraum für eine freie Tätigkeit sehe.

In Deutschland wird alles gewaltsam unterdrückt, eine wahre Anarchie des Geistes, das Regiment der Dummheit selbst ist hereingebrochen, und Zürich gehorcht den Befehlen aus Berlin; es wird daher immer klarer, daß ein neuer Sammelpunkt für die wirklich denkenden und unabhängigen Köpfe gesucht werden muß…

Ich bin daher nicht dafür, daß wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müssen den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, daß sie ihre Sätze sich klarmachen. So ist namentlich der Kommunismus eine dogmatische Abstraktion, wobei ich aber nicht irgendeinen eingebildeten und möglichen, sondern den wirklich existierenden Kommunismus, wie ihn Cabet, Dézamy, Weitling etc. lehren, im Sinn habe. Dieser Kommunismus ist selbst nur eine aparte, von seinem Gegensatz, dem Privatwesen, infizierte Erscheinung des humanistischen Prinzips. Aufhebung des Privateigentums und Kommunismus sind daher keineswegs identisch, und der Kommunismus hat andre sozialistische Lehren, wie die von Fourier, Proudhon etc., nicht zufällig, sondern notwendig sich gegenüber entstehn sehn, weil er selbst nur eine besondre, einseitige Verwirklichung des sozialistischen Prinzips ist.
Und das ganze sozialistische Prinzip ist wieder nur die eine Seite, welche die Realität des wahren menschlichen Wesens betrifft. Wir haben uns ebensowohl um die andre Seite, um die theoretische Existenz des Menschen zu kümmern, also Religion, Wissenschaft etc. zum Gegenstande unserer Kritik zu machen. Außerdem wollen wir auf unsere Zeitgenossen wirken und zwar auf unsre deutschen Zeitgenossen. Es fragt sich, wie ist das anzustellen? Zweierlei Fakta lassen sich nicht ableugnen. Einmal die Religion, dann die Politik sind Gegenstände, welche das Hauptinteresse des jetzigen Deutschlands bilden. An diese, wie sie auch sind, ist anzuknüpfen, nicht irgendein System wie etwa die »Voyage en Icarie« ihnen fertig entgegenzusetzen…

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_337.htm

Den Rest von dem Geschmarre kann man sich unter obigem Link auch noch durchlesen. Kein Wunder, dass Ruge nach dem ersten Heft verzweifelt von dem Vorhaben abließ.


Im November 1843 erhält Marx eine Postsendung von Julius Fröbel aus Zürich, die er wie folgt quittiert:

Dear Friend,

Your letter has just arrived, but with some very strange symptoms.

1) Everything which you say you enclosed is missing with the exception of Engels' article. This, however, is all in pieces and is therefore useless. It begins with No. 5.

2) The letters for Mäurer and myself were wrapped up in the enclosed envelope which is postmarked St. Louis. The few pages of Engels' article were in the same wrapper.

3) Mäurer's letter, which, like mine, I found open in the enclosed envelope, is also superscribed in a strange hand. I enclose the page with the writing.

Hence there are only two possibilities.

Either the French Government opened and seized your letters your packet. In which case return the enclosed addresses. We will then not only initiate proceedings against the French Post-Office but, at the same time, publicise this fact in all the opposition papers. In any event it would be better if you addressed all packets to a French bookshop. However, we do not believe that the French Government has perpetrated the kind of infamy which so far only the Austrian Government has permitted itself.

There thus remains the second possibility, that your Bluntschli and associates have played this police-spy trick. If this is so, then (1) You must bring proceedings against the Swiss and (2) Mäurer as a French citizen will protest to the Ministry.

As far as the business itself is concerned, it is now necessary:

a) To ask Schuller not to issue the aforesaid document for the time being, as this must be the principal ornament of our first number.

b) Send the whole of the contents to Louis Blanc's address. No. 2 or 3, rue Taitbout.

c) Ruge is not yet here. I cannot very well begin printing until he has arrived. I have had to reject the articles so far sent to me by the local people (Hess, Weill, etc.) after many protracted discussions. But Ruge is probably coming at the end of this month, and if at that time we also have the document you promised, we can begin with the printing. I have written to Feuerbach, Kapp and Hagen. Feuerbach has already replied.

d) Holland seems to me to be the most suitable place providing that your police spies have not already been in direct touch with the government.

If your Swiss people have perpetrated the infamy I will not only attack them in the Réforme, the National, the Démocratie pacifique, the Siecle, Courrier, La Presse, Charivari, Commerce and the Revue indépendante, but in the Times as well, and, if you wish, in a pamphlet written in French.

These pseudo-Republicans will have to learn that they are not dealing with young cowhands, or tailors' apprentices.
As to the office, I will try to acquire one along with the new lodging into which I intend moving. This will be convenient from the business and financial viewpoint.

Please excuse this scraggy letter. I can't write for indignation.

Yours, Marx

In any case, whether the Paris doctrinaires or the Swiss peasant lads were responsible for the trick, we will get Arago and Lamartine to make an intervention in the Chamber. If these gentlemen want to make a scandal, ut scandalum fiat. Reply quickly for the matter is pressing. Since Mäurer is a French citizen, the plot on the part of the Zurichers would be a violation of international law, with which the cowhands shall not get away.

http://www.marxists.org/archive/marx/works/1844/df-jahrbucher/frobel.htm

Ob man Marx die Geschichte mit dem fehlenden Inhalt überhaupt glauben darf?

Der Fröbel soll wegen der Sache eine große Beschwerdeaktion vom Zaun brechen und Marx selber will die Schweizer Regierung in allen möglichen bekannten Zeitungen angreifen, falls diese verantwortlich wäre. Sollten es die Franzosen gewesen sein, würde Marx den Fall in den Zeitungen der Opposition veröffentlichen.

Lächerliche Großmäulerei!

Natürlich würde alle Welt diese ungeheuerliche Verletzung des Postgeheimnisses unseres berühmten Karl Marx empört registrieren und der arme Fröbel hätte sich damit nicht nur lächerlich gemacht und seine Zeit vergeudet, sondern sich auch noch zusätzliche Feinde geschaffen.
 
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Sogar Mehring lässt keinen Zweifel, wer für den Inhalt dieses Heftes der Jahrbücher verantwortlich war:

Schon der »Briefwechsel« zeigte, daß Marx der Treiber war, Ruge aber nur der Getriebene. Es kam hinzu, daß Ruge nach seiner Ankunft in Paris erkrankte und sich wenig an der Redaktion beteiligen konnte. Er war dadurch in seiner wesentlichsten Fähigkeit lahmgelegt, für die ihm Marx »zu umständlich« erschien. Er konnte der Zeitschrift nicht die Form und Haltung geben, die er für die passendste hielt, und selbst nicht einmal eine eigene Arbeit in ihr veröffentlichen. Gleichwohl stand er der ersten Lieferung noch nicht völlig ablehnend gegenüber. Er fand »ganz merkwürdige Sachen darin, die in Deutschland viel Aufsehen machen würden«, wenn er auch tadelte, daß »einige ungehobelte Sachen mit aufgetischt« seien, die er gebessert haben würde, aber die nun so in der Eile mitgegangen seien. Es wäre wohl noch zu einer Fortsetzung |68|* des Unternehmens gekommen, wenn es nicht an äußeren Hindernissen gescheitert wäre.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm

Es scheiterte dann aus merkwürdigen Umständen der ganze Vertrieb nach Deutschland, weil die ganze gedruckte Auflage von nur wenigen Exemplaren in die Hände der Polizei fiel, was uns allerdings nicht zu wundern braucht.

Zunächst versiegten sehr schnell die Mittel des Literarischen Kontors, und Fröbel erklärte, das Unternehmen nicht fortführen zu können. Dann aber machte die preußische Regierung schon auf die erste Kunde vom Erscheinen der »Deutsch-Französischen Jahrbücher« gegen sie mobil.

Sie fand damit allerdings nicht einmal bei Metternich, geschweige denn bei Guizot besondere Gegenliebe; sie mußte sich begnügen, am 18. April 1844 die Oberpräsidenten aller Provinzen zu benachrichtigen, daß die »Jahrbücher« den Tatbestand des versuchten Hochverrats und Majestätsverbrechens darstellten; die Oberpräsidenten sollten, ohne dadurch Aufsehen zu erregen, die Polizeibehörden anweisen, Ruge, Marx, Heine und Bernays, sobald sie preußischen Boden beträten, unter Beschlagnahme ihrer Papiere zu verhaften. Das war auch noch recht harmlos, sintemalen die Nürnberger keinen henken, sie hätten ihn denn zuvor. Aber gefährlich wurde das böse Gewissen des preußischen Königs dadurch, daß es mit boshafter Angst die Grenzen zu bewachen verstand. Auf einem Rheindampfer wurden 100, bei Bergzabern an der französisch-pfälzischen Grenze weit über 200 Exemplare aufgefangen; das waren sehr empfindliche Nackenschläge bei der verhältnismäßig geringen Zahl der Auflage, mit der überhaupt gerechnet werden konnte.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm

Die Österreicher und Franzosen dürften schon gewusst haben, warum sie sich jede Mühe mit diesem Werk von Karl Marx sparen konnten.

Was die preußische Regierung nun an der Auseinandersetzung zwischen Karl Marx und Bruno Bauer auszusetzen hatte oder gar für ein Majestätsverbrechen hielt, ist noch mehr unerfindlich. Marx hatte natürlich die Jahrbücher für kein wichtigeres Thema zu nutzen gewusst, als seinen Streit mit seinem ehemaligen „Freund“ Bruno Bauer über dessen letzte Schriften zu vertiefen.

I
Bruno Bauer: »Die Judenfrage«. Braunschweig 1843

Die deutschen Juden begehren die Emanzipation. Welche Emanzipation begehren sie? Die staatsbürgerliche, die politische Emanzipation.
Bruno Bauer antwortet ihnen: Niemand in Deutschland ist politisch emanzipiert. Wir selbst sind unfrei. Wie sollen wir euch befreien? Ihr Juden seid Egoisten, wenn ihr eine besondere Emanzipation für euch als Juden verlangt. Ihr müßtet als Deutsche an der politischen Emanzipation Deutschlands, als Menschen an der menschlichen Emanzipation arbeiten und die besondere Art eures Drucks und eurer Schmach nicht als Ausnahme von der Regel, sondern vielmehr als Bestätigung der Regel empfinden...

II
»Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden«. Von Bruno Bauer. (»Einundzwanzig Bogen«, pag. 56-71.)

Unter dieser Form behandelt Bauer das Verhältnis der jüdischen und christlichen Religion, wie das Verhältnis derselben zur Kritik. Ihr Verhältnis zur Kritik ist ihr Verhältnis »zur Fähigkeit, frei zu werden«.

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_347.htm

Da will ich jetzt nicht auf den Inhalt eingehen; es ist ja klar, dass eine derartige Publikation die Leser mit anderen Themen zu fesseln hätte, als der Frage, was Karl Marx an seinem noch vor wenigen Monaten bewunderten Freund Bruno Bauer plötzlich so sehr zu kritisieren findet. Was das die Welt nun interessieren sollte? Einzig die preußische Regierung konnte ein wirkliches Interesse daran haben, dass sich die Linkshegelianer untereinander zerstreiten und gegeneinander publizieren und mit sich selbst beschäftigt sind. Die Zeitschriften des Ruge waren bisher das Zentrum der Linkshegelianer gewesen und Bruno Bauer war einer ihrer aktivsten und gleichzeitig bedrängtesten Autoren. Marx sollte da wohl einen Keil hineintreiben, anders macht ein Text gegen Bauer in den „Jahrbüchern" keinen Sinn, um von den Ansichten des Marx „Zur Judenfrage" im Detail einmal ganz abzusehen. Die entscheidende Frage ist einfach: was soll der Quatsch? Wie später bei der „Werttheorie" im dreibändigen „Kapital“.

Wenigstens ein Beitrag von Friedrich Engels ist gelungen:

Friedrich Engels
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie

»Deutsch-Französischen Jahrbüchern«, Paris 1844.

Malthus, der Urheber dieser Doktrin, behauptet, daß die Bevölkerung stets auf die Subsistenzmittel drückt, daß, sowie die Produktion gesteigert wird, die Bevölkerung sich in demselben Verhältnis vermehrt und daß die der Bevölkerung inhärente Tendenz, sich über die disponiblen Subsistenzmittel hinaus zu vermehren, die Ursache alles Elends, alles Lasters ist. Denn wenn zuviel Menschen da sind, so müssen sie auf die eine oder die andre Weise aus dem Weg geschafft, entweder gewaltsam getötet werden oder verhungern. Wenn dies aber geschehen ist, so ist wieder eine Lücke da, die sogleich wieder durch andre Vermehrer der Bevölkerung aufgefüllt wird, und so fängt das alte Elend wieder an. Ja, dies ist unter allen Verhältnissen so, nicht nur im zivilisierten, sondern auch im Naturzustande; die Wilden Neuhollands, deren EINER auf die Quadratmeile kommt, laborieren ebensosehr an Überbevölkerung wie England. Kurz, wenn wir konsequent sein wollen, so müssen wir gestehen, DASS DIE ERDE SCHON ÜBERVÖLKERT WAR, ALS NUR EIN MENSCH EXISTIERTE. Die Folgen dieser Entwicklung sind nun, daß, da die Armen gerade die Überzähligen sind, man nichts für sie tun soll, als ihnen das Verhungern so leicht als möglich zu machen, sie zu überzeugen, daß es sich nicht ändern läßt und daß für ihre ganze Klasse keine Rettung da ist als in einer möglichst geringen Fortpflanzung, oder wenn dies nicht geht, so ist es immer noch besser, daß eine Staatsanstalt zur schmerzlosen Tötung der Kinder der Armen, wie sie »Marcus« vorgeschlagen hat, eingerichtet wird - wonach auf jede Arbeiterfamilie zweiundeinhalbes Kind kommen dürfen; was aber mehr kommt, schmerzlos getötet wird. Almosengeben wäre ein Verbrechen, da es den Zuwuchs der überzähligen Bevölkerung unterstützt; aber sehr vorteilhaft wird es sein, wenn man die Armut zu einem Verbrechen und die Armenhäuser zu Strafanstalten macht, wie dies bereits in England durch das »liberale« neue Armengesetz geschehen ist. Es ist zwar wahr, diese Theorie stimmt sehr schlecht mit der Lehre der Bibel von der Vollkommenheit Gottes und seiner Schöpfung, aber »es ist eine schlechte Widerlegung, wenn man die Bibel gegen Tatsachen ins Feld führt«!

Soll ich diese infame, niederträchtige Doktrin, diese scheußliche Blasphemie gegen die Natur und Menschheit noch mehr ausführen, noch weiter in ihre Konsequenzen verfolgen? Hier haben wir endlich die Unsittlichkeit des Ökonomen auf ihre höchste Spitze gebracht. Was sind alle Kriege und Schrecken des Monopolsystems gegen diese Theorie? Und gerade sie ist der Schlußstein des liberalen Systems der Handelsfreiheit, dessen Sturz den des ganzen Gebäudes nach sich zieht. Denn ist die Konkurrenz hier als Ursache des Elends, der Armut, des Verbrechens nachgewiesen, wer will ihr dann noch das Wort zu reden wagen?

Kommen wir indes, um der allgemeinen Übervölkerungsfurcht alle Basis zu nehmen, noch einmal auf das Verhältnis der Produktionskraft zur Bevölkerung zurück. Malthus stellt eine Berechnung auf, worauf er sein ganzes System basiert. Die Bevölkerung vermehre sich in geometrischer Progression: 1 + 2 + 4 + 8 + 16 + 32 usw., die Produktionskraft des Bodens in arithmetischer: 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6. Die Differenz ist augenscheinlich, ist schreckenerregend; aber ist sie richtig? Wo steht erwiesen, daß die Ertragsfähigkeit des Bodens sich in arithmetischer Progression vermehre? Die Ausdehnung des Bodens ist beschränkt, gut. Die auf diese Fläche zu verwendende Arbeitskraft steigt mit der Bevölkerung; nehmen wir selbst an, daß die Vermehrung des Ertrages durch Vermehrung der Arbeit nicht immer im Verhältnis der Arbeit steigt; so bleibt noch ein drittes Element, das dem Ökonomen freilich nie etwas gilt, die Wissenschaft, und deren Fortschritt ist so unendlich und wenigstens ebenso rasch als der der Bevölkerung. Welchen Fortschritt verdankt die Agrikultur dieses Jahrhunderts allein der Chemie, ja allein zwei Männern - Sir Humphrey Davy und Justus Liebig? Die Wissenschaft aber vermehrt sich mindestens wie die Bevölkerung; diese vermehrt sich im Verhältnis zur Anzahl der letzten Generation; die Wissenschaft schreitet fort im Verhältnis zu der Masse der Erkenntnis, die ihr von der vorhergehenden Generation hinterlassen wurde, also unter den allergewöhnlichsten Verhältnissen auch in geometrischer Progression - und was ist der Wissenschaft unmöglich? Es ist aber lächerlich, von Übervölkerung zu reden, solange »das Tal des Mississippi wüsten Boden genug besitzt, um die ganze Bevölkerung von Europa dorthin verpflanzen zu können« (Alison, »The Principles of Population«, Bd. 1, p. 548, London 1840), solange überhaupt erst ein Drittel der Erde für bebaut angesehen werden und die Produktion dieses Drittels selbst durch die Anwendung jetzt schon bekannter Verbesserungen um das Sechsfache und mehr gesteigert werden kann.

http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_499.htm

Wenn man den Text jetzt liest: schade, dass die preußische Polizei so gut informiert war, wann und wo die wenigen Exemplare die Grenze passieren würden.

Nun wurde auch Ruge gegenüber Marx unangenehm und weigerte sich, die Fortsetzung der Jahrbücher aus seinen Mitteln zu finanzieren. Mehr noch: er zahlte dem für den Misserfolg verantwortlichen Karl Marx sein ausgehandeltes Gehalt nicht in bar aus, sondern „in Jahrbüchern“.

Wo aber einmal innere Reibungen vorhanden sind, pflegen sie durch äußere Schwierigkeiten leicht verbittert und verschärft zu werden. Nach Angabe Ruges haben sie auch seinen Bruch mit Marx beschleunigt oder gar hervorgerufen, woran insoweit etwas Wahres sein mag, als Marx in Geldsachen von einer souveränen Gleichgültigkeit, Ruge aber von krämerhaftem Argwohn war. Er scheute sich nicht, das Gehalt, das Marx zu beanspruchen hatte, nach dem Muster des Trucksystems in Exemplaren der »Jahrbücher« auszuzahlen, geriet aber in große Aufregung über die angebliche Zumutung, sein Vermögen an die Fortsetzung der Zeitschrift zu wagen, da er doch ohne alle Kenntnis des Buchhandels sei.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm

Man kann Ruges Rückzug aus dem Projekt erst richtig verstehen, wenn man die Intrige betrachtet, mit der es Marx das persönliche Verhältnis zwischen Ruge und Herwegh zu zerstören gelang, indem er Ruges Kritik an dem aufwendigen, verschwendungssüchtigen Lebensstil des durch seine Heirat in vermögende Kreise gelangten Dichters diesem umgehend zutrug.

Ruge graust es vor der abgeschmackten Verschwendung von Herweghs Mätresse, einer Gräfin d´Agoult, den >Röcken zu 100 Thaler, alle Tage frische Handschuh´, einzelne Blumen zu drei Lousdor< ...
Raddatz, a.a.O. Seite 62, Zitat aus Ruge an seine Mutter.

Eine kritische Äußerung von Ruge über Herwegh zu Marx in einem Gespräch beim Wein nahm Marx dann zum Anlass seines Bruchs mit Ruge, verteidigte theatralisch den Herwegh und eröffnete seine Feindschaft mit Ruge.

Damit war das wichtigste Ziel in solchen Fällen erreicht: der finanziell unabhängige Herwegh von einem potenziellen Mitstreiter Ruge getrennt, mit dessen Erfahrung bei der Zeitschriftenpublikation das Talent und die Mittel des Herwegh der preußischen Regierung hätten gefährlich werden können.

Karl Marx würde sich bald in einen neuen Kreis stürzen, dessen führende Leute es zunächst zu umgarnen und später durch diverse Streitereien zu zersprengen galt.

Der mitdenkende Leser wird sich nun fragen, wie Marx denn sein Problem zu lösen vermochte, nicht auf Kosten des Ruge von 600 Talern im Jahr in Paris leben zu können. Vor allem der „Lebensgenuss mit Georg Herwegh“ (Raddatz, S. 62) musste sehr teuer für Marx werden, „sein späterer Satz, die russischen Adligen hätten ihn in Paris auf Händen getragen, ist gewisslich nicht nur auf den mittellosen Bakunin gemünzt“ ( Raddatz,a.a.O.). Offensichtlich konnte Marx sich das Leben an der Seite des Herwegh in den Salons von Paris leisten, was er ja auch sollte, um Einfluss auf dessen politische Kontakte nehmen zu können.

Ruges Bemerkung, Marx lebe nun mehr als früher mit Herwegh und, obgleich er ihn verachte, nicht ohne jugendliche Abenteuer, lässt vermuten, dass Marx nicht nur den Dichter Herwegh schätzte, sondern auch die Freuden des Pariser Lebens durchaus mit ihm teilte. Er verteidigte ihn gegenüber Heines Spottsucht; er ließ es auch wegen Herwegh zum endgültigen Bruch mit Ruge kommen. Ohnehin war Marx tief verärgert, daß Ruge nicht weiteres Geld in den Zeitschriftenplan investierte…
Raddatz, S. 62

Die Bemerkung „obgleich er ihn verachte“ lässt selbstverständlich vermuten, dass Marx hinten herum den Herwegh überall diskreditiert hat, nicht zuletzt bei dem in Pariser politischen Kreisen einflussreichen Heinrich Heine, dessen so genährten Spott über Herwegh Marx dann nicht das Kriegsbeil erheben ließ; Heine wurde von der französischen Regierung finanziert.

Über das persönliche Leben, das Marx in seinem Pariser Exil geführt hat, liegen nicht allzu viele Nachrichten vor. Seine Gattin schenkte ihm das erste Töchterchen und reiste dann in die Heimat, um es den Verwandten vorzustellen. Mit den Freunden in Köln dauerte der alte Verkehr fort; durch eine Spende von tausend Talern haben sie wesentlich dazu beigetragen, daß dies Jahr für Marx so fruchtbar werden konnte.

In nahem Verkehr stand Marx mit Heinrich Heine, und er hatte seinen Anteil daran, wenn das Jahr 1844 einen Höhepunkt in diesem Dichterleben bezeichnete. Das »Wintermärchen« und das »Weberlied«, so auch die unsterblichen Satiren auf die deutschen Despoten hat Marx aus der Taufe heben helfen. Er hat nur wenige Monde mit dem Dichter verkehrt, aber auch ihm die Treue gehalten, selbst als das Geschrei der Philister noch ärger über Heine erscholl als über Herwegh; Marx hat selbst großmütig geschwiegen, als Heine auf seinem Krankenlager ihn wider die Wahrheit als Zeugen aufrief für die Unverfänglichkeit der Jahrespension, die der Dichter vom Ministerium Guizot bezogen hatte.

Quelle: http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm

Paris durfte sich damals mit Recht rühmen, an der Spitze der bürgerlichen Zivilisation zu marschieren. In der Julirevolution von 1830 hatte die französische Bourgeoisie nach einer Reihe weltgeschichtlicher Illusionen und Katastrophen endlich gesichert, was sie in der großen Revolution von 1789 begonnen hatte. Ihre Talente reckten sich behaglich aus, aber wenn der Widerstand der alten Mächte noch längst nicht gebrochen war, so meldeten sich neue Mächte an, und in unablässigem Hin und Her wogte ein Kampf der Geister, wie nirgends sonst in Europa, und am wenigsten in dem grabesstillen Deutschland.
http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm

Unbenannte „Freunde“ hätten Marx mit den nötigen Mitteln versehen, erklären uns die Marx-Biographen:

Marx lebt vorerst frei von materiellen Sorgen. Freunde in Deutschland haben Geld für ihn gesammelt, über 1000 Taler, kurz darauf kamen nochmals 800 Franc, alles in allem weit über 6000 Franc, Geld für mehrere Jahre.
Raddatz, a.a.O. S. 61.

Das ist doch angenehm, so ein Kommunistenleben finanziert von Freunden in Pariser Salons, mit Heine und Herwegh oder unter russischen Adligen, während ein Bakunin ärmlich in einem kleinen Zimmer mit einem Brett als Schreibtisch haust. Wo blieben dessen „Freunde“?

Auch für die von Ruge anstelle eines Honorars erhaltenen Exemplare der Jahrbücher konnte Marx noch einen „Käufer“ finden:

Dabei hatte er in Paris hinreichende Einnahmen. In den knapp 14 Monaten seines Aufenthalts hatte er 7000 Franc eingenommen; offenbar war es Marx außerdem gelungen, sein Honorar für die Deutsch-Französischen Jahrbücher durch Verkauf der Belegexemplare einzutreiben - noch einmal fast 2000 Franc. Das war ein Gesamtbetrag, der für mehrere Jahre hätte reichen können.
Raddatz, a.a.O. Seite 76.

Wer der irrsinnige oder für die interessierte Kreise arbeitende Käufer gewesen sein soll, erfahren wir leider nicht.

Jedenfalls folgt nach dem Bruch mit Arnold Ruge die Anbiederung an die nächste Zielgruppe im typisch geschwollenen Stil:

„Wo hätte die Bourgeoisie – ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet – ein ähnliches Werk wie Weitlings >Garantien der Harmonie und Freiheit< in bezug auf die Emanzipation der Bourgeoisie – die politische Emanzipation – aufzuweisen? Vergleicht man die nüchterne kleinlaute Mittelmäßigkeit der deutschen politischen Literatur mit diesem maßlosen und brillanten literarischen Debut der deutschen Arbeiter; vergleicht man diese riesenhaften Kinderschuhe des Proletariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenben politischen Schuhe der deutschen Bourgeoisie, so muß man dem deutschen Aschenbrödel eine Athletengestalt prophezeihen.“
Raddatz, S. 65

Es wird also bald dem Wilhelm Weitling an den Kragen gehen, der so schön gedichtet hatte:

Die Namen Republik und Konstitution,
So schön sie sind, genügen nicht allein;
Das arme Volk hat nichts im Magen,
Nichts auf dem Leib und muß sich immer plagen;
Drum muß die nächste Revolution,
Soll sie verbessern, eine soziale sein.
http://www.marxists.org/deutsch/referenz/weitling/1838/mensch/01-kap1.htm
 
OP
Hellmann
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Der „Vorwärts!“ und weitere Streitereien in Paris


Ludwig Börne war von 1811 bis 1815 ein „Polizeiaktuar“ in Frankfurt gewesen, ehe er dann die Religion und vom Polizeiarchiv zum Dichter und Denker im Mittelpunkt der Emigrantenszene in Paris wechselte. Auch er ein protegierter Promovierter ohne Studienabschluss, der sogar die Arbeit der Geheimpolizei aus eigener Anschauung kannte und vermutlich für die mühsame Arbeit in den Polizeiarchiven so wenig taugte wie vorher für ein richtiges Studium.

Zunächst war er als Student in Streit mit seinem Vater geraten und musste wegen Schulden zweimal die Universität wechseln.

1808 schrieb er sich in Gießen ein. Er wurde durch seinen früheren Internatslehrer Prof. Crome gefördert, in dessen Zeitschrift Germanien er unter anderem Aphorismen veröffentlichte. Schon nach 3 Monaten ließ er Börne zum Dr. phil. promovieren, ohne auf einem Examen zu bestehen.

Börne wurde am 19. Juli 1808 in der Loge Zur aufgehenden Morgenröthe in Frankfurt/Main als Freimaurer aufgenommen. Er schrieb 1811 einen Vortrag Über Freimaurerei, aus dem manche Sätze in neuere Freimaurer-Rituale Einzug gehalten haben.

1811 wurde er durch Vermittlung seines Vaters Polizeiaktuar in Frankfurt am Main, jedoch aufgrund seines Judentums 1815 entlassen. 1818 ließ er sich evangelisch taufen. Seinen Namen änderte er kurz vor der Taufe in Ludwig Börne, mit der Begründung, dass sein Name zu eindeutig seine Religionszugehörigkeit zeige und ihm bei seiner Herausgebertätigkeit schaden könnte.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Börne

Potzblitz, das waren noch Zeiten zum Promovieren in drei Monaten und ohne Abschluss. Nur anwesend bei seiner Promotion ist er dann im Gegensatz zu Marx wohl doch gewesen und wird mit seinem Prof. Crome über germanische Dichtung Conversation gehalten haben.

Als Publizist und Journalist unternahm er zahlreiche Reisen und ließ sich 1830 in Paris nieder. Er engagierte sich schriftstellerisch mit Leidenschaft für die Bewegung Junges Deutschland, mit dem Ziel der Verbreitung der Demokratie als Voraussetzung der Freiheit. Seine 1830 bis 1834 in der Korrespondenz mit Jeanette Wohl entstandenen Briefe aus Paris leiteten aus der Pariser Julirevolution die Notwendigkeit einer Revolution in Deutschland ab. Diese Schriften, wie auch seine Metternich-kritische Zeitschrift Die Wage wurden verboten. Auch gegen Johann Wolfgang von Goethe, Wolfgang Menzel und Heinrich Heine (mit dem er zunächst befreundet war) verfasste er kritische Schriften. Er bemühte sich um eine deutsch-französische Freundschaft.

Ludwig Börne starb im Februar 1837 in Paris…

(ebenda)

Die sich ab 1830 in Frankreich bildende Emigrantenszene war gespalten und der Streit zwischen den Lagern Heine und Börne auch nach dessen Tod noch aktuell. Marx ergriff trotz aller Seelenverwandtschaft mit Börne die Partei Heines, was Mehring zu einem tiefsinnigen Begründung veranlasst.

In Heine sah Marx aber zudem nicht nur den Dichter, sondern auch den Kämpfer. In dem Streit zwischen Börne und Heine, der in jener Zeit sich zu einer Art Prüfstein der Geister ausgebildet hatte, trat er mit aller Entschiedenheit für Heine ein. ... Durch den Lärm über Heines angeblichen Verrat, durch den sich selbst Engels und Lassalle, beide freilich in sehr jungen Jahren, anfechten ließen, ist Marx niemals beirrt worden. »Wir brauchen ja wenige Zeichen, uns zu verstehen«, schrieb Heine einmal an ihn, um das »verworrene Gekritzel« seiner Handschrift zu entschuldigen, aber das Wort hatte einen tieferen Sinn als den äußerlichen, worin es gemeint war.

So abgeschmackt, fade und kleinlich habe er sich Börne doch nicht vorgestellt, meinte Marx gegenüber den heimlichen Klatschereien, die Börne schon gegen Heine verbreitet hatte, als beide noch Schulter an Schulter standen, und die Börnes literarische Erben unklug genug waren, aus dessen Nachlaß zu veröffentlichen. An dem unbestreitbar ehrlichen Charakter des Klätschers würde Marx deshalb doch nicht gezweifelt haben, wenn er über den Streit geschrieben hätte, wie es seine Absicht war. Es gibt im öffentlichen Leben nicht leicht ärgere Jesuiten als die beschränkten und buchstabengläubigen Radikalen, die im fadenscheinigen Mantel ihrer Tugendhaftigkeit vor keinen Verdächtigungen der feineren und freieren Geister zurückscheuen, denen es gegeben ist, die tieferen Zusammenhänge des geschichtlichen Lebens zu erkennen. Marx hat es immer mit diesen gehalten, niemals mit jenen, zumal da er die tugendsame Rasse aus eigener Erfahrung gründlich kannte.

http://www.mlwerke.de/fm/fm03/fm03_064.htm#Kap_5

Nun ja, wir beschäftigen uns hier auch gerade mit den Verdächtigungen dieser „feineren und freieren Geister“ und wollen uns da nicht beirren lassen, gerade wenn uns das Material dazu so reichlich vor Augen kommt und wir doch auch in der Lage sein wollen, diese „tieferen Zusammenhänge des geschichtlichen Lebens zu erkennen“.

Neben der deutschen Emigrantenszene in Paris gab es noch die jungen russischen Aristokraten, die überwiegend keine Revolution planten, aber im Hinblick auf ihre zukünftige Position im Zarenreich für Agenten aller westeuropäischen Regierungen interessant sein mussten.

In späteren Jahren hat Marx von »russischen Aristokraten« gesprochen, die ihn in seinem Pariser Exil auf Händen getragen hätten, freilich mit dem Hinzufügen, das sei nicht hoch anzuschlagen gewesen. Die russische Aristokratie werde auf deutschen Universitäten erzogen und verlebe in Paris ihre Jünglingszeit. Sie hasche immer nach dem Extremsten, was der Westen liefere; das hindere aber dieselben Russen nicht, Halunken zu werden, sobald sie in den Staatsdienst getreten seien. Marx scheint dabei an einen Grafen Tolstoi, einen heimlichen Agenten der russischen Regierung, oder sonst wen gedacht zu haben; nicht jedoch hat er dabei ein Auge gehabt oder konnte ein Auge haben auf den russischen Aristokraten, auf dessen geistige Entwicklung er in jenen Tagen großen Einfluß gehabt hat: nämlich Michail Bakunin. Dieser hat sich dazu noch in einer Zeit bekannt, wo sich die Wege beider Männer weit getrennt hatten; auch in dem Streit zwischen Marx und Ruge nahm Bakunin sehr entschieden Partei, für Marx und gegen Ruge, der bis dahin sein Beschützer gewesen war.
(Mehring, ebenda)

Sonst mag Marx eine Pfeife gewesen sein, aber die hohe Kunst der Täuschung seiner Freunde, wie hier nun des Bakunin, der dabei die Unterstützung durch Ruge verlor, war sein wahres Genie. Natürlich dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass Marx über genug Finanzen für solche Zwecke verfügte. Bakunin lebte zeitweise ziemlich in Not und Elend und da macht die Hoffnung auf einen finanziell gut gestellten Freund schnell unvorsichtig.

Beim „heimlichen Agenten der russischen Regierung“, dem Leo Tolstoi, hatte Marx im September 1844 den gerade nach Paris gekommenen Friedrich Engels eingeführt:

Er trifft sich häufig mit Bakunin und verkehrt in den eleganten Salons der liberalen russischen Adligen. Er nimmt an einem „demokratischen Bankett“ teil, gemeinsam mit Ruge und Louis Blanc, Bakunin und dem russischen Gutsbesitzer Grigorij Michailowitsch Tolstoi, bei dem er Anfang September Engels einführt; der Graf Tolstoi führte ein großes Haus, besaß außer seiner Wohnung noch ein >Hotel de Ville< in der Rue Mathurin, in dem er glanzvolle Empfänge für die Diplomatie gab – einmal mehr zeigt sich Marx` Hang, in gesellschaftlichen Kreisen, in Salons zu verkehren. Aber er besucht auch die kommunistischen Geheimbünde, ohne sich zu ihnen zu zählen.
Raddatz, a.a.O. S. 69/70
 

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