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Politische... gesellschaftskritische Lyrik

PSW - Foristen die dieses Thema gelesen haben: » 1 «  

I

Iphigenie

Die Schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie die Hunde erschießen läßt -
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!

~ Heinrich Heine (1797-1853) deutscher Schriftsteller
 
Zuletzt bearbeitet:
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Das letzte Kapitel [/COLOR]

Am 12. Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.
Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.
Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.
Keiner entging dem Tod, und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall. Es schlich wie auf Zehen.
Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andre hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten, mit tausend toten Piloten,
unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte,
völlig beruhigt, ihre bekannte elliptische Bahn.

~Erich Kästner (1899-1974) deutscher Schriftsteller
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Leicht ist Vieles [/COLOR]

Leicht ist Vieles,
doch nichts leichter als die Zeit
in der wir leben,
in der wir streben,
Leichtes in uns einzuweben.

Leicht schmiert leichte Frühstücksbutter
sich von selbst ins leichte Brot
und ’ne federleichte Oma freut sich:
„Bald schon 63Jahre
ohne Krieg und Hungersnot!“.

Leicht fliegt eine Segeljacht
Durch des Meeres weite Pracht
obenauf da liegen Modelmädchen,
leicht wie deutsche Wattebrötchen
und der schnieke Käptn, der honette
raucht ’ne superleichte Zigarette.

Leichte Margarine, leichte Vitamine
und auch leicht die Kehrmaschine
Leichte Präser für den Herrn
Leichte Binden für die Dern
daunenleichte Federbetten
Leicht sogar die Schlaftabletten.

Leicht fließt aller Medienbrei ungehindert eins zwei drei
flott in unsere Köpfe
Leicht und ohne Widerstand
Zieh’n Reformen durch das Land
Leicht ist das Entrechten, leicht ist auch das Knechten
Leicht ist stark die Herrscherhand.

Leicht ist Vieles,
doch nichts leichter als die Zeit
in der wir leben,
in der wir streben,
Seichtes in uns einzuweben.

~Iphigenie​
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Frankfurter Stadtansichten [/COLOR]

Es war ein Tag, so schön wie heute
die ganze Stadt war sexbeflaggt
Am Straßenrand da gafften Leute
- das Weib lag tot und unten nackt.

Der schicke Benz war seitlich eingedellt
er sah wohl nicht den Zebrastreifen
Des Fahrers Hirn war eingestellt
auf einen plötzlich steifen Steifen.

Ein Penner legte seine Schmusedecke
auf diesen wunderschönen toten Po
Tatüüü-tataaa kam rasend um die Ecke
und noch mehr Gaffer sowieso

Ein Krankenwagen fuhr gleich weiter
weil der ’ne Leiche niemals transportiert
Der Fahrer, so geschockt - da weint er
als er so sieht, was er da massakriert

An allen Straßenrändern der Stadt
wirbt ein Bikiniweib mit lüsterndem Blick
Keiner, der’s nicht schon gesehen hat
Keiner, der nicht träumt von einem Fick

„Autofahrer, bitte nicht hingucken!“
-Ein lustiger stilvoller Werbegag
Der Pöbel muß seitwärts rucken
ein Leichenwagen fährt die Leiche weg

Vier Hände öffnen die Zinkwanne
ein wenig Blut auf einer hohen Stirn
…….Blicke fallen rein ins schöne Mädelgesicht
Und ein Gedanke zuckt durch beider Hirn:
„Kenne ich die nicht?1…Kenne ich die nicht?!….Kenne ich die nicht?!“
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Artikel 3 (3) [/COLOR]

1
niemand darf wegen
seines geschlechtes
seiner abstammung
seiner rasse
seiner sprache
seiner heimat und herkunft
seines glaubens
seiner religiösen oder
politischen
anschauungen
benachteiligt oder
bevorzugt werden.

2
ein volk von
ex nazis
und ihren
mitläufern
betreibt schon wieder
seinen lieblingssport
die hetzjagd auf
kommunisten
sozialisten
humanisten
dissidenten
linke.

3
wer rechts ist
grinst.

4
beispielsweise
wird eine partei zugelassen
damit man
die existenz
ihrer mitglieder
zerstören kann
eigentlich waren
die nazis ehrlicher

zugegeben
die neue methode ist
cleverer


5
dreißig jahre später
gibt es wieder
sagen wir
zehntausend
die verhören
die neue gestapo

wehrt euch
vielleicht gibt es zeitungen
die eine rubrik einrichten
jeden tag in einem kasten
eine visage
die fotografie einer fresse
die verhört
mit namen
beruf
adresse
sowie
in den meisten fällen
mitgliedsnummer der
nsdap

dann selbstverständlich
keine gewalt
sondern geht hin
und zeichnet
die wohnungstüre
das haus
des folterers
mit hakenkreuzen

ich garantiere euch
der wird es sich
überlegen
ob er noch einmal
verhört

der läuft zu
seinem boss
und sagt
sorry boss
die machen mich
dingfest
der wird mir
zu gefährlich
dem geht der
A**** im grundeis

hört auf zu winseln
wehrt euch
die beste verteidigung ist
der angriff (clausewitz)

6
als die nazis
während des krieges
in dänemark
den judenstern einführen wollten

trug der könig von dänemark
bei seinem nächsten ausritt
den gelben stern
auf seiner uniform

warum legen
der scheel
der schmidt
der willibrandt
der genscher
der maihofer
nicht den
judenstern an
wenn sie
beim frühstück lesen
daß man schon wieder
eine lehrerin
gefoltert hat

ah ich vergesse
daß sie eine solche meldung
mit der lupe
suchen müßten

wie wär’s denn
bundesdeutsche zeitungen
wenn ihr
den deutschen dissidenten
wenigstens ein zehntel des raums
einräumen würdet
den ihr
den russischen widmet
doch zieht ihr es vor
aus dem glashaus
mit steinen zu schmeißen

die splitter im fremden
anstatt den balken im eigenen
auge zu sehn

7
das neue kz
ist schon errichtet

die radikalen sind ausgeschlossen
vom öffentlichen dienst
also eingeschlossen
ins lager
das errichtet wird
für den gedanken an
die veränderung
öffentlichen dienstes

die gesellschaft ist wieder geteilt
in wächter
und bewachte
wie gehabt

ein geruch breitet sich aus
der geruch einer maschine
die gas erzeugt.

~ Alfred Andersch (1914-1980) deutscher zeitkritischer Erzähler
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Der Tantenmörder [/COLOR]

Ich hab meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kisten Kasten nach

Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn Mitleid und Zartgefühl.

Was nutzt es, daß sie sich noch härme-
Nacht war es rings um mich her-
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.

Das Geld war schwer zu tragen,
Viel schwerer die Tante noch.
Ich fasste sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch.-

Ich hab meine Tante geschlachtet
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.

~ Frank Wedekind (1864- 1918) deutscher Dichter, Dramaturg, Schauspieler, Schriftsteller
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]THIS LAND IS YOUR LAND [/COLOR]
words and music by Woody Guthrie

Chorus:
This land is your land, this land is my land
From California, to the New York Island
From the redwood forest, to the gulf stream waters
This land was made for you and me

As I was walking a ribbon of highway
I saw above me an endless skyway
I saw below me a golden valley
This land was made for you and me

Chorus

I've roamed and rambled and I've followed my footsteps
To the sparkling sands of her diamond deserts
And all around me a voice was sounding
This land was made for you and me

Chorus

The sun comes shining as I was strolling
The wheat fields waving and the dust clouds rolling
The fog was lifting a voice come chanting
This land was made for you and me

Chorus

As I was walkin' - I saw a sign there
And that sign said - no tress passin'
But on the other side .... it didn't say nothin!
Now that side was made for you and me!

Chorus

In the squares of the city - In the shadow of the steeple
Near the relief office - I see my people
And some are grumblin' and some are wonderin'
If this land's still made for you and me.
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Hymnus auf die Bankiers [/COLOR]

Der kann sich freuen, der die nicht kennt!
Ihr frag noch immer: Wen?
Sie borgen sich Geld für fünf Prozent
und leihen es weiter zu zehn.
Sie haben noch nie mit der Wimper gezuckt,
Ihr Herz stand noch niemals still.
Die Differenzen sind ihr Produkt.
(Das kann man verstehn, wie man will.)
Ihr Appetit ist bodenlos.
Sie fressen Gott und die Welt.
Sie säen nicht. Sie ernten bloß.
Und schwängern ihr eignes Geld.
Sie sind die Hexer in Person
und zaubern aus hohler Hand.
Sie machen Gold am Telefon
und Petroleum aus Sand.
Das Geld wird flüssig. Das Geld wird knapp.
Sie machen das ganz nach Bedarf.
Und schneiden den andern die Hälse ab.
Papier ist manchmal scharf.
Sie glauben den Regeln der Regeldetrie
und glauben nicht recht an Gott.
Sie haben nur eine Sympathie.
Sie lieben das Geld. Und das Geld liebt sie.
(Doch einmal macht jeder Bankrott!)

~Erich Kästner (1899-1974) deutscher Schriftsteller
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Solidaritätslied [/COLOR]

Auf, ihr Völker dieser Erde!
Einigt euch in diesem Sinn:
Daß sie jetzt die eure werde
Und die große Nährerin.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsere Stärke besteht
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität !

Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber!
Endet ihre Schlächterein
Reden erst die Völker selber,
Werden sie schnell einig sein.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsere Stärke besteht
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität !

Wollen wir es schnell erreichen
Brauchen wir noch dich und dich
Wer im Stich läßt seinesgleichen
Läßt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsere Stärke besteht
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität !

Unsre Herrn, wer sie auch seien
Sehen unsre Zwietracht gern
Denn so lang sie uns entzweien
Bleiben sie doch unsre Herrn.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsere Stärke besteht
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität !

Proletarier aller Länder
Einigt euch und ihr seid frei.
Eure großen Regimenter
Brechen jede Tyrannei!
Vorwärts und nie vergessen
Und die Frage konkret gestellt
Beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?

~ Bertholt Brecht (1898 – 1956) deutscher Schriftsteller und Dichter
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Es riecht nach Leben....
[/COLOR]


Sie lesen
Sie hören
Die Zeichen von früh bis spät
Es riecht nach Leben
Es ist ein freies Land
Mit freien Bürgern
Erzogen in dem Bewusstsein
Zwischen unzähligen Buchtiteln
Unzähligen Filmen
Unzähligen Zeitschriften
Unzähligen Tageszeitungen
Unzähligen Links
Unzähligen Bildern
Unzähligen Fernsehprogrammen
Unzähligen Musikstücken
Unzähligen Computerspielen
Unzähligen Schauspielen
Unzähligen Playstationen
Unzähligen Unzähligem
Frei zu wählen

Erzogen
Frei zu wählen
Was ihre Seele streichelt
Es riecht nach Leben
Sie lesen
Sie hören
Die Zeichen von früh bis spät
Die Zeichen der Zeit
Die Zeichen der Zeichen
Die Zeichen der Reichen
In einem freien Land

Sie pusten Geistessamen digital
Oder in Druckerschwärze gegossen
In den Elektronenwind der weiten Welt
- Fruchtbar der Boden, auf den das fällt ?
Sie pusten
Sie pusten


Es riecht nach Leben im Heim der
Alten und Jungen
Frei wählen
Zwischen unzähligen Kreuzworträtseln
Zwischen unzähligen Abstellkammern
Zwischen unzähligen Worten.
Sie lesen
Sie hören
Sie schreiben
Sie lösen
In einem fremden Land
In einer fremden Zeit

Sie lesen
Sie hören
Sie schreiben
Sie lösen
Es riecht nach Leben
In den Särgen der Welt

Und keiner weiß warum
…………..Und keiner weiß warum.

~Iphigenie
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]REQUIESCAT IN PACE ! [/COLOR]

Wenn nur ein Kopf da liegt
Und unterhalb des Kopfes alles gelähmt
Für immer ist
Ist es leicht
Dem Patienten die Wahrheit zu sagen.

Als man ihn behutsam
Auf der Autobahn barg
Hielt er das Mobilphon
Wacker in der Rechten

Jetzt liegt er
Da
Der Kopf
Und hört was Sache ist.
Er glaubt es nicht
Er spürt, daß er etwas nicht spürt
Er weint

Und der Mund bildet die ersten Worte

Ich muß meine Firma anrufen,
Meine Firma braucht mich doch
Siebzig Stunden in der Woche braucht sie mich
Sie lassen mich nicht im Stich
Sie brauchen mich
Verstehen Sie ?
Sie werden mir
Eine Computeranlage beschaffen
Mit meinem Mund kann ich
Einen Stift führen
Meine Firma braucht mich
Ich muß mit meiner Firma reden.
Kann ich mal telefonieren?
Sagen Sie doch etwas
Weiß es meine Frau schon ?

Er liegt da
Der Kopf
Eines wackeren
Deutschen
Managers.
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Die Maßnahmen[/COLOR]

Die Faulen werden geschlachtet
die Welt wird fleißig
Die Häßlichen werden geschlachtet
die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund
Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung
Die Feinde werden geschlachtet
die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut

~ Erich Fried (1921-1988) österreichischer Dichter
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Knigge für Unbemittelte [/COLOR]

Ans deutsche Volk, von Ulm bis Kiel:
Ihr eßt zu oft, Ihr eßt zuviel!
Ans deutsche Volk, von Thorn bis Trier;
Ihr seid zu faul! Zu faul seid ihr!

Und wenn sie euch den Lohn entzögen!
Und wenn der Schlaf verboten wär!
Und wenn sie euch so sehr belögen,
daß sich des Reiches Balken bögen!
Seid höflich und sagt Dankesehr.

Die Hände an die Hosennaht!
Stellt Kinder her! Die Nacht dem Staat!
Euch liegt der Rohrstock tief im Blut,
Die Augen rechts! Euch geht´s zu gut.

Ihr sollt nicht denken, wenn ihr sprecht!
Gehirn ist nicht für kleine Leute.
Den Millionären geht es schlecht,
Ein neuer Krieg käm ihnen recht.
So macht den Ärmsten doch die Freude!

Ihr seid zu frech und unbegabt!
Seid taktvoll, wenn ihr Hunger habt!
Rasiert euch besser! Werdet zart!
Ihr seid kein Volk von Lebensart!

Und wenn sie euch noch tiefer stießen
Und würfen Steine hinterher!
Und wenn sie euch verhaften ließen
Und würden nach euch Scheibe-schießen!
Sterbt höflich
und sagt Dankesehr.

~ Erich Kästner (1899-1974) deutscher Dichter
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Jedwedes hat seine Zeit [/COLOR]

Alles hat seine Stunde
unter dem Himmel

Für jedes Geschehen
gibt es eine bestimmte Zeit

Eine Zeit zum Geborenwerden
und eine Zeit zum Sterben

Eine Zeit zum Pflanzen
und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen

Eine Zeit zum Töten
und eine Zeit zum Heilen

Eine Zeit zum Niederreißen
und eine Zeit zum Bauen

Eine Zeit zum Weinen
und eine Zeit zum Lachen

Eine Zeit für die Klage
und eine Zeit für den Tanz

Eine Zeit zum Steinewerfen
und eine Zeit zum Sammeln der Steine

Eine Zeit zum Umarmen
und eine Zeit die Umarmung zu lösen

Eine Zeit zum Suchen
und eine Zeit zu Verlieren

Eine Zeit zum Behalten
und eine Zeit zum Wegwerfen

Eine Zeit zum Zerreißen
und eine Zeit zum Zusammennähen

Eine Zeit zum Schweigen
und eine Zeit zum Reden

Eine Zeit zum Lieben
und eine Zeit zum Hassen

Eine Zeit für den Krieg
und eine Zeit für den Frieden.

Quelle: Altes Testament: Prediger Salomon
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Saal der kreißenden Frauen [/COLOR]

Die ärmsten Frauen von Berlin
- dreizehn Kinder in anderthalb Zimmern,
Huren, Gefangene, Ausgestoßene-
Krümmen hier ihren Leib und wimmern.
Es wird nirgends so viel geschrien.
Es wird nirgends Schmerzen und Leid
So ganz und gar nicht wie hier beachtet,
weil hier eben immer was schreit.

„Pressen Sie, Frau! Verstehn Sie, ja?
Sie sind nicht zum Vergnügen da.
Ziehn Sie die Sache nicht in die Länge.
Kommt auch Kot bei dem Gedränge!
Sie sind nicht da um auszuruhn.
Es kommt nicht selbst. Sie müssen was tun!“
Schließlich kommt es: bläulich und klein.
Urin und Stuhlgang salben es ein.

Aus elf Betten mit Tränen und Blut
Grüßt es ein Wimmern als Salut.
Nur aus zwei Augen bricht ein Chor
Von Jubilaten zum Himmel empor.

Durch dieses kleine fleischerne Stück
Wird alles gehen: Jammern und Glück.
Und stirbt es dermaleinst in Röcheln und Qual,
liegen zwölf andere in diesem Saal.

~ Gottfried Benn (1886-1956) deutscher Dichter
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]I am gross and perverted [/COLOR]

I am gross and perverted
Im obsessed n deranged
I have existed for years
But very little had changed
I am the tool of the government
And industry too
For I am destined to rule
And regulate you

I may be vile and pernicious
But you cant look away
I make you think Im delicious
With the stuff that I say
I am the best you can get
Have you guessed me yet?
I am the slime oozin out
From your tv set

You will obey me while I lead you
And eat the garbage that I feed you
Until the day that we dont need you
Dont got for help...no one will heed you
Your mind is totally controlled
It has been stuffed into my mold
And you will do as you are told
Until the rights to you are sold

Thats right, folks..
Dont touch that dial

Well, I am the slime from your video
Oozin along on your livinroom floor

I am the slime from your video
Cant stop the slime, people, lookit me go

~Frank Zappa (1940-1993) amerikanischer Sänger und Texter
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Schöne neue Nullenwelt oder aus dem Wörterbuch des Null-Menschen [/COLOR]

Die Großmächte suchen die Null-Verständigung.
Die Regierungen streben nach Null-Abkommen.
Die Militärblöcke führen Null-Abrüstungsgespräche.
Die Blockfreien finden zum Null-Konsens.

Nullen gibt es zu Genüge.
Nullen statt Verständigung.
Und auf jede Nullenlüge
Folgt die Null-Entschuldung.

Die Wirtschaft lebt mit dem Null-Wachstum.
Die Arbeitnehmer mit der Null-Beschäftigung.
Die Jugend steht mit Null-Bock vor der Tür.
Die Etablierten haben dafür Null-Verständnis.

Die Vergangenheit erfährt die Null-Bewältigung.
Die Gegenwart gestattet den vollen Null-Durchblick.
Die Zukunft garantiert das Totale Null-Future.

Hin sind alle Hoffnungsträume,
dass die Welt zusammenhält.
Dafür schafft man Null-Freiräume.
Schöne neue Nullenwelt!

Die Kirche predigt den neuen Null-Glauben.
Die Bundeswehr stärkt ihre Null-Bereitschaft.
Die Justiz sorgt für die Null-Gerechtigkeit.

Die Banken bieten die Null-Sicherheit.
Der Handel steigert die Null-Umsätze.
Die Landwirtschaft erbringt Null-Rekorderträge.

Kommen Nullen in Bredouille,
greifen sie zur Nullenlist:
Wann gestände eine Null je
selbst, dass sie eine ist!

Die Presse beweißt ihre Null-Freiheit.
Das TV erfüllt den Null-Programmauftrag.
Die Satire belacht ihre Null-Wirkung.

Das Schauspielhaus feiert Null-Triumphe.
Die Oper hat ihren Null-Skandal.
In Kassel ist die Null-Art zu sehen.
Im Kabarett eine Null-Mann-Show aus Null-York.
Auf Sylt der erste Null-Nackedei.

Null-Sein ist der letzte Null Modeschrei.
Und noch aus dem Meer von Nullen
tönt es „Null-Lösung in Sicht“!,
um uns Nullen einzulullen –
bis der letzte Strohhalm bricht.

- Dieter Höss (*1935) Textautor, Graphiker und Maler
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Hiroshima[/COLOR]

Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
Auferstandene aus Staub für ihn.

Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.

Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, daß sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, sein Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.

~ Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) deutsche Dichterin und Schriftstellerin
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]Die Welt ist grau [/COLOR]

Die Welt ist grau, mein Kind
Das schöne Erdenrund
liegt krank darnieder
Die Lüfte sind verseucht, mein Kind
die Vögel singen Klagelieder

Die Welt ist trist, mein Kind
die großen Flüsse tragen Trauerflor
Das was du isst, mein Kind
das zaubert die Chemie hervor

Die Welt ist siech, mein Kind
lebende Pest rüstet auf zum großen Krieg
Sie wollen unseren Tod, mein Kind
Auf unseren Leichen schreien sie dann: „Sieg!“

Die Welt ist morsch, mein Kind
und bald schon könnte brechen
sie entzwei
Der neoliberalen Pest, mein Kind
Sind diese Dinge einerlei.

Die Welt ist schön, mein Kind
die Angst vor Krieg
darf nicht dein Herz zerfressen,
Dass du das HEUTE lebst, mein Kind
das darfst du nie vergessen!

~ Iphigenie
 
OP
I

Iphigenie

[COLOR="Sienna"]An meine Landsleute
[/COLOR]


Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht - ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitte euch - habet mit euch selbst Erbarmen!

Ihr Männer - greift zur Kelle - nicht zum Messer:
Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt
Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt
Und unter Dächern sitzt es sich doch besser:
Ich bitte euch - greift zur Kelle - nicht zum Messer!

Ihr Kinder - daß sie euch mit Krieg verschonen
Müßt ihr um Einsicht eure Eltern bitten.
Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen
Und nicht das leiden - was sie selber litten:
Ihr Kinder - daß sie euch mit Krieg verschonen!

Ihr Mütter - da es euch anheimgegeben
Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden.
Ich bitte euch -lasset eure Kinder leben!
Daß sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden:
Ihr Mütter - lasset eure Kinder leben! (Oktober 1949)

~ Berthold Brecht (1898-1956) deutscher Dichter
 

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