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In 30 Jahren wird es keinen Kapitalismus mehr geben

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I

Iphigenie

Zitiert aus Heise Online Telepolis


"In 30 Jahren wird es keinen Kapitalismus mehr geben"
Ralf Streck 06.02.2009

Der Soziologe Immanuel Wallerstein sagte früh den Zusammenbruch
des Sowjetblocks voraus und prophezeit nun das Ende des
Kapitalismus.
Immanuel Wallerstein war der Einladung einer spanischen Universität
in die Hauptstadt Madrid gefolgt. Im überfüllten Veranstaltungssaal
des Museums Reino Sofia sprach er über die Krise des Kapitalismus.
Dabei sagte der Theoretiker, der im Kalten Krieg das Ende des
Sowjetblocks prophezeite, nun das Ende des Kapitalismus in den
nächsten 30 Jahren voraus. Wallerstein spricht seit langen davon,
dass wir uns am Ende der zweiten Phase eines Kondratieff-Zyklus
befinden. Der Zusammenbruch des Kapitalismus werde real, weil
negative Konjunkturzyklen mit einer Systemkrise zusammenfielen,
in welcher der Kapitalismus aus dem Gleichgewicht gerate,
weshalb eine "Phase des politischen Chaos" anstehe.


Wallerstein ist nicht irgendein Theoretiker. Der 1930 in New York
geborene Sohn jüdischer Einwanderer aus Deutschland, gilt als einer
der Begründer der Weltsystem-Theorie. Der Soziologe lehrt an der
Yale University und hat das Studienzentrum Fernand-Braudel der
Wirtschaften und Zivilisationen historischer Gesellschaften in
Binghampton (New York) gegründet und bis 2005 geleitet. Einen
Namen machte er sich vor allem mit seinen Studien zur
globalen kapitalistischen Wirtschaft. Er entwickelte eine Makrotheorie
mit einem universalen Anspruch, die sich auf politökonomische,
historische und vergleichende Aspekte bezieht. Sein bekanntestes
Werk ist das dreibändige "The Modern World-System", das 1974,
1980 und 1989 veröffentlich wurde.

Er kritisierte frühzeitig den globalisierten Kapitalismus und inspirierte
damit dessen Kritiker. Auch sein Eintreten für "anti-systemische
Bewegungen" hat ihn, ähnlich wie Noam Chomsky und Pierre Bourdieu,
zu einem der herausragenden Vertreter der Globalisierungskritiker
gemacht. Er war Mitunterzeichner des Manifestes 12 Vorschläge für
eine andere mögliche Welt des Sozialforums in Porto Alegre 2005.

Trotz großen Publikumszuspruchs fand die Veranstaltung in den
spanischen Medien kaum ein Echo. Nur die neue Tageszeitung
Publico berichtete und druckte ein Interview mit Wallerstein ab.
Der Theoretiker, der stets die zunehmende Bedeutung des
Nord-Süd-Konflikts betonte, zeigte in diesem Gespräch eine
Radikalisierung seiner Positionen bei der Beurteilung der sich
verschärfenden und vertiefenden Finanz- und Weltwirtschaftskrise.

Erklärte Wallerstein bisher meist allgemein, dass das derzeitige
kapitalistische System nicht überleben kann, wurde er in einem
Interview mit der französischen Zeitung "Le Monde" schon im
vergangenen Oktober deutlicher. Die Lage für die Herrscher dieser
Welt werde zunehmend "chaotischer und unkontrollierbarer",
erklärte er. Er sah einen Kampf aufkommen, und "zwar nicht nur
zwischen Verteidigern und Gegnern des Systems, sondern auch
unter allen Akteuren", um zu bestimmen, welches System den
Kapitalismus ablösen werde. Den Begriff "Krise" reserviert er
ausdrücklich für eine derartige Situation. "Nun ja, wir befinden
uns in der Krise, der Kapitalismus neigt sich dem Ende zu."

"Alle Möglichkeite sind offen"

In dem neuen Interview geht Wallerstein einen Schritt weiter
und legt einen Zeitrahmen fest: "Wir können sicher sein, das wir
in 30 Jahren nicht mehr in einem kapitalistischen Weltsystem leben.
" Auf die Frage, welches System den Kapitalismus ablösen wird,
hat er keine Antwort. "Es kann ein besseres oder schlechteres
System sein, alle Möglichkeiten sind offen." Als Spezialist des
Nord-Süd-Konflikts sieht er darin den Dreh- und Angelpunkt.
"Die Lösung finden wir, wenn der Konflikt zwischen dem Geist
von Davos und dem Geist von Porto Alegre gelöst ist."

Er bezieht sich hier auf die Weltsystem-Therorie, die von
Karl Marx genauso beeinflusst wurde, wie von der Dependenztheorie
und den Theorien französischer Historiker der Annales-Schule,
besonders Fernand Braudel. Doch anders als bei Marx steht
bei Wallerstein nicht der Widerspruch von Kapital und Arbeit
im Vordergrund, sondern dieser Konflikt tritt hinter den Konflikt
zwischen Zentrum und Peripherie zurück. In System der
endlosen Akkumulation von Kapital seien die konkurrierenden
Akteure für auftretende Spannungen verantwortlich. Daher
seine Einschätzung, dass es auch zu verstärkten
Widersprüchen und Konflikten innerhalb der Systembefürworter
auf der einen und mit Akteuren des Südens kommen wird. Den
Begriff "Dritte Welt" lehnt er ab, denn für Wallerstein gibt es
nur "eine Welt", die durch ein arbeitsteiliges Netz
ökonomischer Tauschbeziehungen eng miteinander verbunden ist.

Wallerstein hält es für möglich, dass an die Stelle des
"fürchterlich ungerechten" Kapitalismus ein noch extremeres, ein
noch stärker polarisierendes und hierarchischeres System tritt.
Es könne aber auch ein demokratischeres und egalitäreres
System werden. Letztlich werde das Ergebnis von nahezu
unendlich vielen individuellen Anstrengungen abhängen.

Der Kapitalismus sei nicht zum Zusammenbruch verdammt, weil
wir in die Endphase eines
Kondratjew-Zyklus:de.wikipedia.org/wiki/Kondratieff eingetreten
seien. Vielmehr macht er dafür das Zusammentreffen
verschiedener negativer Konjunkturzyklen, die sich wiederum
gegenseitig verstärken, mit dem Auftreten einer Systemkrise
verantwortlich. Werde in der Phase A des Kondratjew-Zyklus
der Gewinn durch materielle, industrielle oder andere Produktion
geschaffen, muss der Kapitalismus sich in der Phase B, wenn
er weiter Profit generieren will, finanzieren und flüchte deshalb
in die Spekulation. Deshalb verschuldeten sich seit nun mehr
als 30 Jahren die Unternehmen, die Staaten und die
Privathaushalte massiv.

"In diesem Sinne bietet die derzeitige Krise aber nichts Neues,
über die alle so diskutieren, als wäre es etwas nie da gewesenes.
Sie ist ähnlich zu anderen historischen Augenblicken, wie die
große Depression oder die Periode zwischen 1893 und 1896."
Nach der massiven Verschuldung platze eine Spekulationsblase
nach der anderen und in der Folge brächen Firmen und Banken
zusammen, die Kapitalkonzentration und die Arbeitslosigkeit
stiegen und die Wirtschaft sei einer realen Deflationssituation
ausgesetzt, die schon die zweitgrößte Volkswirtschaft fest im
Griff hat (Droht mit den Leitzinssenkungen nun statt Stagflation
eine Stagdeflation?). "Wir sehen also den Kollaps der
Spekulationsperiode, die in den 1970er Jahren begonnen hat,
soweit ist also alles ganz normal."

Phase des politischen Chaos

Dass hierzu eine Systemkrise komme, daran bestimme sich
das Außerordentliche dieser Situation, meint Wallerstein. Der
Kapitalismus sei ein Allesfresser, der stets den höchsten Profit
anstrebe und sich mit kleinen, marginalen Profiten nicht begnüge.
"Die realen Akkumulationsmöglichkeiten dieses Systems sind an
ihre Grenzen gestoßen." Seit der Geburt des Kapitalismus in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebe er vom
Reichtumsunterschied zwischen dem Zentrum, wo die Gewinne
zusammen fließen, und den immer stärker verarmenden Rändern.
Die Aufholjagd in Asien und Lateinamerika stelle nun eine
unlösbare Herausforderung für die vom Westen dominierte
Weltwirtschaft dar.

Dem Westen alle es zusehends schwerer, den Preis der
Akkumulation zu kontrollieren: Rohstoffpreise, Preise für
Lohnarbeit und Steuern stiegen seit Jahrzehnten an. Die nun
auslaufende kurze neoliberale Periode habe diese Tendenz nur
temporär bremsen können. Die jüngste Krise, die mit er mit der
aufziehenden für vergleichbar hält, sei der Zusammenbruch
des europäischen Feudalsystems und dessen Ablösung durch
den Kapitalismus gewesen. Den scheidenden Kapitalismus hält
er für ein System, welches "bemerkenswert und außergewöhnlich
die meisten Güter und den größten Reichtum produziert hat".

Trotz der Schäden an der Umwelt und an den Gesellschaften,
habe er der größtmöglichen Zahl von Menschen ermöglicht, ein
rationales und intelligentes Leben zu führen. Allerdings führe die
Krise des Kapitalismus nun in eine "Phase des politischen Chaos",
sagt er voraus. Die dominierenden politischen Akteure, vor allem
die westlichen Unternehmen und Staaten, versuchten nun alles,
um wieder ein Gleichgewicht zu schaffen. Dass werde
ihnen höchstwahrscheinlich nicht gelingen, ist Wallerstein überzeugt.
Die Intelligentesten hätten schon verstanden, dass etwas
vollständig Neues organisiert werden muss. "Heute sieht man
die Lage deutlich klarer in Porto Alegre als in Davos." So macht
er klar, wo diese Intelligenz zu verorten ist. Verschiedene Akteure
handelten bereits unbewusst und ohne Plan, um neue Lösungen
zu schaffen.
 

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